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Festvortrag zur Eröffnung der Kreuzganggespräche am 2. Mai 2004 in Worms
Herbert Schlögel
Die Sehnsucht nach geglücktem Leben.
Über den Zusammenhang von Spiritualität und Ethik
Dass wir Menschen nach Glück streben, ist eine Überzeugung, die in Philosophie und Theologie seit alters her reflektiert wurde und wird: Platon, Aristoteles, Augustinus, Thomas von Aquin, Kant, um nur einige Namen zu nennen, haben sich damit beschäftigt. Aber auch bei Freud oder in der modernen Literatur (Handke/Walser) wird diese Frage immer wieder thematisiert. Unschwer wird man Änderungen im Verständnis feststellen können. Die klassischen Autoren in Philosophie und Theologie verstehen unter Glück (beatitudo, eudaimonia) „dasjenige Gut, das aus allen Gütern zusammengesetzt ist, die sich selbst genügende Kraft zum guten Leben, die Vollendung in Hinsicht auf die Tugend“. Thomas spricht von der Verwirklichung der vollen menschlichen Bestimmung, von der Vollendung und von dem vollendeten Guten einer geistigen Natur. Von hier gibt es einen problemlosen Überstieg zu religiösen Heilsbestimmungen. Das Wort beatitudo kann nämlich bei Thomas von Aquin sowohl die „natürliche“ philosophische Kategorie bezeichnen; das, was der Mensch aus eigener Kraft tun kann (und vielleicht auch muss), um die (zu erwerbende) Glückseligkeit zu erlangen, wie die „übernatürliche“ theologische Kategorie, in der Glück als gnadenhaft geschenkte Vollendung, also als das Heil bezeichnet wird.
Die neuzeitliche, bis in die Gegenwart hinein reichende Vorstellung des Glücks wird zumeist identifiziert mit Vergnügen im Sinne einer an physiologische Bedingungen geknüpften Erlebnisqualität. Glück hat man, so heißt es. Wenn heute vom höchsten Gut im Sinne der klassischen Philosophie gehandelt wird, dann wird eher von einem erfüllten, gelungenem und gelingendem Menschsein gesprochen. Ich habe dies in der Überschrift in dem Ausdruck, geglücktes Leben zusammengefasst.
Da die eingangs genannte Beschreibung das Glück als die Vollendung in Hinsicht auf die Tugend bezeichnet hat, scheint es notwendig zu sein, in einem ersten Punkt die Beziehung von Glück und Tugend etwas näher zu beleuchten.
1. Glück und Tugend
Worin liegt das Glück des Menschen? Gibt es verpflichtende Konturen, die für das Gelingen des menschlichen Lebens unerlässlich sind? Nur wenn sich solche verbindlichen Mindestvoraussetzungen für das Glück vernünftig begründen lassen, kann der Hinweis auf die Tugend und eine damit verbundene Tugendethik mehr sein als eine beliebige Größe unserer persönlichen Interessen und Vorlieben. Wenn eine Tugendethik eine verbindliche Anleitung zum guten Leben sein soll, muss es möglich sein, Grundstrukturen menschlicher Lebenserfüllung und menschlichen Glücks ausfindig zu machen, die den unterschiedlichen Wegen, auf denen die Menschen ihr Glück suchen, zugrunde liegen. Dabei können wir feststellen, dass in dem Gedanken des glücklichen Lebens nicht nur das philosophische und das theologische Element enthalten sind – wie bei Thomas von Aquin – sondern zwei damit verbundene Bestimmungen:
1) Im glücklichen Zufall sehen wir etwas Erfreuliches, weil die Lage der Dinge und die äußeren Ereignisse mit unseren Absichten und Zielen übereinstimmen. Die Entsprechung unseres Wünschens und Wollens mit der Wirklichkeit erfahren wir, wenn wir glücklich sind. Da ein solcher Zustand nicht direkt in unserer Hand liegt, empfinden wir auch das Glücklich-Sein als etwas, das unserer Verfügung entzogen ist. Von uns aus können wir nur dazu beitragen, dass wir des Glückes wert sind. Aber im Gefühl des Glücks bleibt immer ein Rest des Unverfügbaren, der uns vor allem darin bewusst wird, dass wir das Glück nicht festhalten können.
2) Unsere Vorstellung vom Glück umfasst auch das, was prinzipiell in unserer Hand liegt („Jeder ist seines Glückes Schmied“). Wie man glücklich ist, hängt von der Gunst unserer Lebensumstände, aber vor allem auch davon ab, welche Lebensziele wir verfolgen, und um welche Werte und Güter willen uns das Leben lebenswert erscheint.
Diese beiden Voraussetzungen des Glücks liegen nicht auf der gleichen Ebene, denn wir können uns den Grenzfall vorstellen, dass ein Mensch sehr genau weiß, welche Lebensziele er verfolgt und darin glücklich ist, auch wenn die Gunst äußerer Lebensumstände ihm versagt bleibt. Umgekehrt können wir uns nicht den Grenzfall eines glücklichen Lebens vorstellen, dass einem Menschen alles nur zufliegt, er aber nicht weiß, worum willen er sein Leben führt.
Der wesentliche Bestandteil des Glücks hängt – wie erwähnt – von unseren eigenen Lebenszielen und Entscheidungen ab. Dabei muss der Anteil des Glücks keineswegs immer aktuell gegeben sein. Es genügt, dass wir grundsätzlich die Möglichkeit haben, das zu verwirklichen, was zu einem gelingenden Leben notwendig ist. Das richtige gute Leben ist weit mehr von den Möglichkeiten getragen, die ihm offen stehen, als von denen, die tatsächlich verwirklicht werden können. Verlässliches Glück besteht nicht nur in aktuellen Glückserfahrungen, sondern vor allem in der Möglichkeit, durch unser eigenes Handeln die grundlegenden Güter des Lebens zu entfalten. Dazu gehört natürlich auch die Gunst der äußeren Lebensumstände, die es uns erleichtern, unsere eigenen Möglichkeiten in Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu ergreifen. Aber darin liegt nicht das Wesen des Glücks. Das wahre Glück spielt sich wesentlich in einer Beziehung des Menschen zu seiner ihm umgebenden Lebenswelt ab. Wahres Glück kann sich nur in Übereinstimmung mit der Welt zeigen. [Glück hat ein objektives Fundament: das Dispositionsgefüge der Neigungen.] Die Tugenden stellen einen Grundriss für ein erfülltes Leben dar.
Worin besteht nun der wesentliche Zusammenhang zwischen Tugend und Glück? Aristoteles bestimmt das Glück als ein Tätigsein der Seele im Sinne ihrer wesenhaften Tüchtigkeit. Dieser Grundbestimmung, die das Wesen der Tugend in der Fähigkeit zu einer bewussten, auf das Gelingen des Lebens gerichteten Lebensführung sieht, ordnet Aristoteles noch zwei weitere Momente zu. Zum Glücklichsein gehören neben dieser Grundbestimmung ein Mindestmaß an äußeren Gütern und eine zeitliche Konstanz und Dauerhaftigkeit, die das Leben im täglichen Auf und Ab der Glücksfälle und Stimmungsschwankungen auf eine dauerhafte Basis stellen. Glück ist immer das unverfügbare Glück des Schicksals und gleichzeitig das, was wir selbst aufbringen können. Wenn nun Tugend oder das freie Handeln um der übergeordneten Ziele willen der eigenverantwortliche Beitrag des Menschen zu seinem Glück ist, dann bedarf dies noch einer weiteren Präzisierung. Tugenden sind nicht Instrument zum Glück, sondern Grundhaltungen, in denen das Leben gelingt. Die Tugenden sind die Wege, auf denen sich ein vollendetes Leben erfüllt. Es sind Wege der Selbstaneignung und „Selbst-in-Besitznahme“, in denen der Mensch sein Glück wirkt. Sie beschreiben diesen Weg gemäß der Haltungsbilder, die der Mensch selbst gewählt hat. Thomas von Aquin, der – wie eingangs erwähnt – den Zusammenhang von gnadenhaft Geschenktem und dem in Freiheit zu Tuenden zum Ausdruck gebracht hat, definiert die Tugend: „Tugend ist, was den, der sie besitzt, in seinem Sein und Handeln gut macht“. Das Entscheidende ist, dass nicht nur das Tun gut ist, sondern dass es dem Menschen in seinem Sein und Handeln gut macht. Hier kommt wieder der Gedanke zum Ausdruck, dass dem menschlichen Tätigsein Konstanz, Leichtigkeit und Freude zugleich verliehen wird.
Die Frage nach dem Glück hängt intensiv mit der Bedeutung der Tugend, aber auch der Spiritualität zusammen. Mit dem Hinweis auf Thomas habe ich schon deutlich gemacht, dass es mir um einen christlichen Ansatz des Verhältnisses von Spiritualität und Ethik geht, der die Suche nach dem geglücktem Menschsein zum Ziel hat. Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass es interessant wäre, einmal zu überprüfen, welch unterschiedliche Ansätze eine christlich orientierte und z.B. eine buddhistisch orientierte Spiritualität und Ethik haben (Ein westlich orientierter Buddhist kritisiert seine Glaubensgenossen, dass sie sich ethisch unproblematischen Themenfeldern verpflichtet wissen wie Regenwälder, Tierrechte u.ä., während Probleme struktureller Gewalt in den Heimatländern des Buddhismus unbeachtet blieben. Christliche Kommentatoren kritisieren darüber hinaus, dass buddhistische Prinzipien, wie die wechselseitig bedingte Erschaffung von Mensch und Tier, zu einer Depersonalisierung der Ethik führen und die Verantwortung für die soziale Dimension des Menschen auflösen).
2. Spiritualität und Tugendethik
Ich möchte beginnen mit einer Definition von Spiritualität, wobei mir klar ist, dass unter Spiritualität heute eine Fülle von Phänomenen fallen wie Praktiken des New Age, therapeutische Strategien, aber auch soziale Reformbewegungen. Eine Charakterisierung lautet: „Christliche Spiritualität ist der gelebte christliche Glaube sowohl in seinen allgemein gültigen wie in seinen eigenständigen Formen ... Man sollte Spiritualität von der Lehre abheben, weil sie sich nicht auf den Glauben als solchen beschränkt, sondern auf die Wirkung konzentriert, die der Glaube im religiösen Bewusstsein und der religiösen Praxis hat. Sie ist auch von der christlichen Ethik zu unterscheiden, da sie nicht jedes menschliche Tun in seiner Beziehung zu Gott betrachtet, sondern nur jene Handlungen, deren Beziehung unmittelbar und ausschließlich auf Gott gerichtet ist“.
Ethik, hier verstanden als christliche Ethik, hat es mit dem Sein und Handeln des Menschen aus der Perspektive des Glaubens zu tun, oder anders herum gefragt: Wer bin ich und was soll ich tun? Es geht im Zusammenhang von Spiritualität und Ethik nicht so sehr um einzelne Handlungsanweisungen oder gar um die Entscheidung von Grenzfällen, sondern um die Ausprägung von Haltungen, die es mir erst ermöglichen im Einzelnen auch richtig zu handeln. Und hier kann uns der klassische Begriff der Tugend, heute sprechen wir mehr von Haltungsbildern, weiterhelfen. In seiner berühmten Arbeit „Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart“ hat Mac Intyre die Tugend beschrieben als „eine erworbene menschliche Eigenschaft, deren Besitz und Ausübung uns im allgemeinen in die Lage versetzt, die Güter zu erreichen, die einer Praxis inhärent sind, und deren Fehlen wirksam verhindert, solche Güter zu erreichen“. Praxis meint hier ein kommunikatives und konstruktives Verhältnis zu anderen Beteiligten und hat in sich die Aufforderung, sich in einen konkreten und sozial-historischen Kontext einzulassen. D.h. Tugend legt nicht von vornherein fest, was im jeweiligen Einzelfall zu tun ist, sondern sie ist offen für die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten angesichts dessen, dass sie ihr Umfeld, ihren Kontext wahrnimmt und ernstnimmt. Auf diese Wirklichkeit, die ihr gegenüber tritt, versucht sie gestaltend zu antworten. Das Ergebnis der Ausübung einer Tugend ist dann eine Wahl, die sich im richtigen Handeln niederschlägt. Die Tugend ist eine existenzielle Erfahrung des Könnens, ein Gesolltes und Gewolltes zu tun. Im Lateinischen wird uns hier das Wort habitus vor Augen geführt – Habit –, was zum Ausdruck bringt, dass es sich hier um eine auf Dauer angelegte Einübung handelt, die den Menschen dann in die Lage versetzt, etwas leicht, spontan und auch freudig zu tun. [Manchem wird dies etwas theoretisch erscheinen, deshalb kurz zur Verdeutlichung ein Beispiel (Wahrhaftigkeit und Solidarität als notwendige Haltungen im Versicherungswesen).] Die damit verbundene Kernfrage ist aber auch, woher bekomme ich diese Haltungen, wie drücke ich sie in meinem Leben aus und welche Rahmenbedingungen müssen dazu geschaffen werden. Die Christen haben von Anfang an in ihrem Ethos Haltungen aus der sie umgebenden Umwelt übernommen, aber auch relativiert. Das gilt z.B. für die Kardinaltugenden Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß, die auch heute ihre Bedeutung für das Zusammenleben der Menschen haben. Beim Stichwort Gerechtigkeit spüren wir gerade wie beides zusammengehört. Das, was der Einzelne als Grundhaltung hier leisten kann und das, was als Ziel einer Gemeinschaft, eines Staates notwendig ist, um entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, dass auch im Einzelfall dem Menschen Gerechtigkeit widerfährt. Aus der Botschaft Jesu heraus haben aber die Christen auch ihre eigenen Akzente gesetzt in der Aufnahme und Umsetzung der Tugenden, die sie aus ihrer Umgebung erfahren haben und diese Akzentsetzung hat sich über die Jahrhunderte hindurch fortgesetzt. Es gibt hier nicht nur einmalige, sondern auf Dauer angelegte Perspektiven. Neue Lebenssituationen erfordern auch neue Haltungen, die sich herausbilden müssen. So ist es heute sicher notwendig, angesichts der zahlreichen Gewaltszenarien, die in vielen Teilen unserer Gesellschaft vorhanden sind, Haltungen einzuüben, die auf die Fähigkeit zielen, Konflikte friedlich zu lösen. Oder in anderen Bereichen ist es notwendig, die Tugend das Maßes wieder neu zu aktualisieren, nicht nur im Umgang mit den Ressourcen der Natur, sondern auch mit den Gegebenheiten, die finanziell in unserer Gesellschaft heute möglich sind. Das hat nichts mit Geiz zu tun, der heute werbemäßig sehr weit nach vorne gebracht wird, denn Geiz zeigt sich gerade als mangelnde Bereitschaft, andere an den eigenen finanziellen Möglichkeiten teilhaben zu lassen. Er steht im übrigen im selben sprachlichen Zusammenhang wie das Wort „Habgier“.
Damit dies aber auch gelingen kann und sich für den Einzelnen eine Wirkkraft entwickelt, so denke ich, ist der Zusammenhang mit dem Grund der jeweiligen Ethik notwendig. Dass darüber hinaus unsere Gesellschaft in vielem lebenswerter wäre, wenn mehr Menschen diese Grundhaltungen verwirklichen würden, ist so hoffe ich, einsichtig. Eine Form, um dies zum Ausdruck zu bringen, ist für den Christen und – da wir hier in einem Kreuzgang sind – für die Ordensleute das geistliche Leben und ihr Zusammenhang mit dem sittlichen Handeln.
3. Geistliches Leben und sittliches Handeln
So notwendig der Blick auf Grundhaltungen aus christlicher Perspektive ist, so erschöpft sich das christliche Leben darin keineswegs. Es geht aus christlicher Perspektive darum, dass wir als Menschen das Leben des dreieinigen Gottes mit anderen teilen. Der Christ ist nicht alleine zum sittlichen Handeln durch die Gnade Gottes befähigt, sondern dies gilt für die gesamte christliche Gemeinschaft. Anhand von vier Stichworten, die mir Richard Gula, ein bekannter amerikanischer Moraltheologe, in seinem im letzten Jahr erschienenen Buch „The Call to Holiness. Embracing a fully Christian life“ zugespielt hat, möchte ich einige konkrete Hinweise für diese Verhältnisbestimmung geben. Ihnen ist gemeinsam, dass – ähnlich wie bei der Tugend – eine auf Dauer angelegte Einübung notwendig ist.
1) Gebet
Geistliches Leben, Beziehung zu Gott, Spiritualität ist ohne Gebet nicht möglich. Dabei sind ja verschiedene Formen des Gebetes – das gemeinschaftliche wie das private – notwendig und sinnvoll. Im Dankgebet dankt der Mensch für das Leben, das ihm geschenkt wurde und für die damit verbundenen Gaben. Im Bittgebet wendet er sich Gott zu, um für seine, aber besonders für die Sorgen anderer zu beten. In der Klage drückt er seine Sorgen und Ängste, sein Nichtverstehenkönnen über die tatsächliche Situation aus, um in der Anbetung Gott um seiner selbst willen zu loben und zu verherrlichen. Gemeinschaftlicher Charakter des Gebetes kann sich in vielfältigen Formen ausdrücken: Das Stundengebet hier im Kloster – wenn möglich mit anderen Mitchristen zusammen – ist eine elementare Form, die zentrale ist die Feier des Gedächtnisses von Tod und Auferstehung Jesu Christi. Stanley Hauerwas, Methodist und Ethiker in den USA, misst diesen liturgischen Vollzügen eine solche Bedeutung bei, dass er sagt, die Kirche als Versammlung der Gläubigen, als Gemeinschaft der Glaubenden in der Liturgie, ist Sozialethik. D. h. nicht das, was getan wird und was sich daraus entwickelt, ist das Wichtige, sondern allein, dass Menschen verschiedener Rassen, Sprachen und verschiedener Lebensformen zusammenkommen, ist in unserer Gesellschaft bereits ein wichtiges sozialethisches Ereignis. Ohne im Einzelnen diesen Gedanken von Hauerwas vertiefen und vielleicht auch kritisieren zu können, scheint er mir für das Zusammenleben auch in unserer Gesellschaft elementar.
2) Jüngerschaft
Leben aus dem Glauben ist immer Leben in der Nachfolge Jesu Christi, nicht in der Imitation dessen, was er getan hat, sondern in dem Versuch als Einzelne wie als Gemeinde und Gemeinschaft seinen Weg für uns nachzugehen und nachzufolgen. Gerade angesichts der vielfältigen Religionen bleibt es Aufgabe der Christen, aus ihrer Perspektive zur Humanisierung dieser Welt einen Beitrag zu leisten. Die Jüngerschaft zeigt sich gerade in der Verwirklichung dessen, was im Gebot der Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe mit enthalten ist. Christsein ohne eine soziale bzw. diakonale Komponente gibt es nicht und das ist gerade auch ihre Herausforderung (Beispiel Indien).
3) Bekehrung
Zur geistlichen Tradition der Kirche gehört es seit alters her die Reinigung (purgatio) und Bekehrung (conversio) als elementaren Bestandteil des geistlichen Lebens anzusehen. Kirche als ganze, wie auch die Einzelnen wissen, dass sie versagen und nicht in allem zu einem gelungenem Menschsein beitragen. Fast schon vergessen – aber aus meiner Sicht wieder erwähnenswert – ist die Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. aus dem Jahre 2000. Das, was für die Kirche als ganze immer wieder gilt, ist auch für jede und jeden Einzelnen notwendig. Von daher sollten wir neben den verschiedenen Formen von Umkehr und Buße auch wieder an die Bedeutung des Bußsakramentes erinnern. Gerade die klösterliche Tradition bietet hier viele Anhaltspunkte und meine Mitbrüder hier am Ort in Worms, die regelmäßig dieses Angebot hier bieten, wollen auch in der Zukunft sich in diesem Punkt engagieren. Bekehrung – das heißt immer wieder auch sein Leben neu zu überdenken und danach Ausschau zu halten, inwieweit ich manches in meinem Leben besser machen kann. Es geht nicht darum, neue Messlatten aufzulegen, die wir immer wieder unterschreiten, sondern darum, unsere Messlatte am Beispiel Jesu auszurichten.
4) Unterscheidung der Geister
Sie gilt als eine Grundtugend des alten Mönchtums, die heute wieder neues Gewicht gewinnt. Origenes hat sie unter das doppelte Kriterium gestellt: innere Ruhe (Trost) und Frucht (soziale Dimension). Dabei steht die Frage – was will Gott von mir? – im Mittelpunkt.
Vor Jahren habe ich folgende Hinweise gefunden:
- Versuche dich und dein Leben möglichst genau und gut zu verstehen!
Bei Gott ist zwar kein Ding unmöglich, aber nicht jeder kann alles werden. Deshalb sind Teil- und Vorfragen wichtig: Wer bin ich? Wo liegen meine Stärken und Schwächen? Was ergibt sich aus der Geschichte meines eigenen Lebens?
- Im Fragen und Suchen nach Gottes Willen wähle das, was auf Dauer und tiefgreifend froh macht!
Friede, Hoffnung und Gelassenheit sind die Grunderkennungszeichen für den Willen Gottes. Wer auf längere Zeit hin bei einer Praxis oder Vorstellung von einer bestimmten Lebensform ein „ungutes Gefühl“ erhält, hat sich wahrscheinlich getäuscht. Der Friede ist immer Zeichen für das, was Gott von einem will, denn Gottes Ruf wird herausfordern, aber nie überfordern.
- Verwirkliche das, was du vom Evangelium begriffen hast – sei es auch noch so wenig das tue aber ganz!
Gott fordert keine vorschnellen und übereilten Schritte, deshalb lässt er Zeit.
- Nicht nur der Glaube kommt vom Hören, sondern auch das genaue Kennen und Deuten des göttlichen Willens!
Wer Jesus nachfolgt, erhält keine mathematische Sicherheit auf dem Weg zu geglücktem Leben zu sein, wohl aber schenkt Gottes Ruf immer auch das nötige Vertrauen. Eine wichtige Hilfe im Abklären ist das geistliche Gespräch mit einem, der einen gut kennt, aber auch genügend herausfordert.
Schlussbemerkung
Die Sehnsucht nach geglücktem menschlichen Leben ist – wie aus diesen spirituell-ethischen Bemerkungen hervorgeht – ein Prozess, in dem es aber wichtige einzelne Punkte der Einübung gibt. Dies schließt nicht glückhafte – auch im erlebnismäßigen Sinne – Momente des eigenen Lebens aus. Im Gegenteil, es wäre schade, wenn wir sie nicht als Bestätigung unseres eigenen Weges einfach sehen würden. Aber aus christlicher Perspektive zeigt sich das Gelungensein des Lebens erst vom Ende her und hat in der Tradition der Kirche eine besondere Form gefunden: die Heiligkeit. Diese Menschen haben aus christlicher Sicht ein gelungenes Leben geführt. Dies soll uns nicht demotivieren, sondern im Gegenteil ein Ansporn sein, uns auf diesen Weg zu begeben. Kreuzgänge sind seit altes her Verbindung, Verbindungsformen von der Kirche zum Kloster. Sie beschreiten einen Weg, der ein Ziel hat, zu dem wir unterwegs sind.
Ich wünsche Ihnen auf diesem Weg Erfahrungen und Erlebnisse, die für ein geglücktes Menschsein wichtig sind, und der Reihe der „Kreuzganggespräche“ eine aufnahmebereite Zuhörerinnen- und Zuhörerschaft!