Kleine Spießer
Kennen Sie das Lied von Zarah Leander? In den dreißiger Jahren sang sie mit verführerischer Stimme:
Kann denn Liebe Sünde sein,
darf es niemand wissen, wenn man sich küsst
wenn man einmal alles vergisst – vor Glück?
Kann das wirklich Sünde sein?
Als wir im Kloster die Predigtreihe zum Thema „Umkehr: Wieso weshalb, warum?“ vorbereitet haben, und ein Titel gesucht haben für eine Predigt zum Thema „Liebe und Moral“ ist uns Brüdern sofort dieses Lied eingefallen.
Heute finden wir den Text ja ganz niedlich. Damals aber gab es wirklich noch Leute, die einem die Liebe vermiesen wollten. Weiter heißt es ja in dem Lied:
Jeder kleine Spießer macht das Leben mir zur Qual,
denn er spricht nur immer von Moral!
Und was er auch denkt und tut, man sieht’s ihm leider an,
dass er niemand glücklich sehen kann.
Sagt er dann: Zu meiner Zeit gab es so was nicht!
Frag‘ ich voll Bescheidenheit, mit lächelndem Gesicht:
Kann denn Liebe Sünde sein,
darf es niemand wissen, wenn man sich küsst
wenn man einmal alles vergisst vor Glück?
Kann das wirklich Sünde sein...
Liebe Gemeinde, ich hoffe, heute Abend nicht zu den Spießern zu gehören, die versuchen, ihnen den Spaß an der schönsten Nebensache der Welt zu verderben. Aber es lohnt sich doch über diese Frage nachzudenken: Kann denn Liebe Sünde sein oder nicht? Das möchte ich gerne heute Abend mit ihnen tun.
Veränderter Umgang mit Liebe und Sexualität: Liebling, was hast du gegen Pornos? – Guck doch einfach mit!
Die Spießer, die immer nur von „Moral“ sprechen, und von denen Zarah Leander in ihrem Lied spricht, gibt es glaube ich gar nicht mehr. Es hat sich einiges verändert im Umgang mit Liebe und Sexualität. Früher gab es in diesem Bereich viel mehr Tabus. Damals sprach man nicht „darüber“, oder man hatte zumindest klare Vorstellungen, was geht und was nicht. Beim Thema Liebe und Sexualität waren viele Schuldgefühle mit im Spiel. Eine Entwicklung, an der auch die Kirche beteiligt war.
Die sog. „sexuellen Revolution“ war dann für viele wie eine Befreiung: Endlich befreit von der Last einer verklemmten Moral! Endlich mehr Offenheit und mehr Ehrlichkeit! Das war die Zeit der (im Nachhinein recht putzigen) Aufklärungsfilme, und das Thema Sex wurde plötzlich gesellschaftsfähig. Für die Menschen wurde es wichtig, ihre Sexualität selbstbestimmt zu leben und sich nicht von gesellschaftlichen Konventionen leiten zu lassen.
Doch wohin ist die Entwicklung weiter gegangen? Wie gehen wir heute mit Sexualität um? Es ist nicht leicht, eine allgemeingültige Antwort auf diese Frage zu geben.
Es lohnt ein Blick in die Medien. Denn wir leben in einer Welt, die von Fernsehen und Internet geprägt ist. Immer mehr verstehen wir die Wirklichkeit so, wie sie uns durch die Medien gezeigt wird. Und da hat der Umgang mit Liebe und Sexualität nicht mehr viel damit zu tun, was früher „gute Sitte“ und „anständig“ war.
Haben Sie z.B. schon einmal eine Nachmittags-Show[1] im deutschen Fernsehen gesehen? Sie glauben gar nicht, über was da alles geredet wird! In diesen Shows geht es um alle möglichen Fragen, und sehr oft auch um Liebe und Sex. Denn das scheint die Leute irgendwie am meisten zu beschäftigen. War man früher eher zu verklemmt und prüde, ist heute das Gegenteil der Fall: Nichts ist mehr tabu!
Sie schauen mich fragend an... Ich sehe also, Sie gehören nicht zu denen die nachmittags Fernsehen schauen! J Dann will ich es Sie kurz aufklären. Jede Sendung steht unter einem festen Thema. Zu diesem Thema werden entsprechend Studiogäste eingeladen, die sich zum Thema äußern und gemeinsam mit dem Publikum diskutieren. Ich will ihnen einige Kostproben dieser Sendungen und ihrer Themenstellungen nicht vorenthalten:
Arabella Kiesbauer zum Beispiel hat sich mit ihren Gästen Gedanken gemacht zum Thema: Vorspiel - Nein Danke! oder über Selbstbefriedigung - Lust oder Last? Der beliebte Jörg Pilawa, bei dem ich ja selber neulich als Gast in seiner Spielshow in der ARD war, vielleicht haben Sie es ja gesehen, hat noch zu SAT1-Zeiten Gäste gehabt, die lapidar feststellen: Schatz: Ich will Liebe, du willst Sex. Oder in einer anderen Sendung: Liebling, was hast du gegen Pornos? - Guck doch einfach mit!
Bei Sonja Zietlow haben die Zuschauer etwas erfahren über Scharfe Schwestern - Liebe auf dem Krankenbett oder das Problem diskutiert Ich steh auf Sex mit dem Ex. Wohlgemerkt, liebe Schwestern und Brüder: Das läuft zum Teil im Nachmittagsprogramm, wenn die Kinder aus der Schule kommen!
Bei „Vera am Mittag“ sollten sich wohl eher reifere Zuschauer angesprochen fühlen beim Thema Mein dritter Frühling - Jetzt zeig' ich's euch!
In der früheren Sendung von Bärbel Schäfer trafen zuweilen Welten aufeinander: Sexgott trifft Weichei: Von mir kannst du noch was lernen! Sie hatte dabei natürlich immer den Menschen im Blick, wie die Sendung beweist mit dem Thema: Tipps und Tricks bei Bärbel: So lebst du als Hausfrau richtig geil! Und, liebe Schwester und Brüder, die Krönung ist eine Sendung, die doch tatsächlich das Thema hatte: Eltern und Kinder bei Bärbel: Mein Kind ist spießig.
Sie sehen, über alles wird da geredet am Nachmittag! Und ich bin sicher, dass das nicht spurlos an unserer Gesellschaft vorüber geht! Die Einschaltquoten sind nämlich nicht schlecht...
Vielleicht sind das wirklich extreme Beispiele gewesen, aber sie sind Symptom einer grundsätzlichen Veränderung im Umgang mit dem Thema Liebe und Sexualität.
Kirche, Sex und Schuldgefühle
Auf dem Hintergrund dieser Offenheit und vielleicht auch Schamlosigkeit, mit der heute Fragen von Liebe und Sexualität behandelt werden, wird deutlich, wie so sehr anders früher damit umgegangen wurde. Und die Kirche hatte daran – wie gesagt – einen entscheidenden Anteil: Früher wurde in den Kirchen eine viel strengere Moral gelehrt. Viel klarer wurde einem gesagt, was Sünde ist und was nicht. Das betraf alle schwierigen Fragen wie Selbstbefriedigung, Homosexualität, Seitensprünge und so weiter.
Wurde in der Vergangenheit zu viel über Moral in der Kirche geredet, ist heute nach meinem Gefühl eher das Gegenteil der Fall: Früher wühlten die Pfarrer regelmäßig von der Kanzel herab unter der Bettdecke der Gläubigen. Heute ist es so, dass in den Predigten gar nicht mehr darüber gesprochen wird. Wir reden zwar viel über die „Liebe“ im Allgemeinen, und das ist ja auch ganz schön so. Aber über die Liebe, das heißt die zwischen zwei Menschen mit Leib und Seele, schweigt ein redlicher Prediger – ganz im Gegenteil zu den Nachmittagsshows im Privatfernsehen! Denken Sie mal darüber nach, ob Sie in den letzten 30 Jahren je etwas in einer Kirche in der Predigt dazu gehört haben! Wenn man es mal wagt, darüber zu sprechen, kann es einem passieren, dass gesagt wird: „Herr Pater, was erzählen Sie uns eigentlich über die Liebe. Sie haben doch – hoffentlich! – gar keine Ahnung, wovon sie reden...“
Die Vergangenheit ist belastet, weil die Kirche tatsächlich versucht hat, zu viel ordnend und regulierend in das sexuelle Leben der Menschen einzugreifen. Meine Erfahrung ist sogar, dass viele Probleme im Beichtstuhl – auch heute noch! – aus einer Zeit rühren, in der die Menschen ein von Angst geprägtes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper hatten. Viele Gewissenskonflikte belasten die Menschen, weil es nicht leicht ist, umzugehen z.B. mit Selbstbefriedigung oder mit Pornographie – da vor allem bei Männern, aber nicht nur! Viele finden deswegen keinen Frieden, weil bis ins Innerste hinein Schuldgefühle sie plagen.
Meine Großmutter ist bis heute davon überzeugt, dass schon das Empfinden von Lust an sich sündhaft ist. So hatte sie es von ihrem Pfarrer gelernt. Und meine Mutter hat mir erzählt, dass sie in der Kirche beigebracht bekam: Dass die Menschen sich durch Sex fortpflanzen müssen, ist schon eine Folge des Sündenfalls. Adam und Eva hatten doch nach dem Naschen am Baum ihre Unschuld verloren, und merkten erst dann, dass sie nackt waren. Seitdem ist er der Körper an sich etwas Böses. Seitdem gibt es überhaupt Sex. Besser wäre es eigentlich, wir würden uns durch Zellteilung oder Ableger vermehren. Sie sehen, wir können darüber lächeln, aber diese Vorgeschichte prägt uns, und sie zu ignorieren wäre unredlich.
Es ist schade, dass die biblische Geschichte von der Frau, die zu steinigen sich niemand traut, so wenig Wirkung in der Vergangenheit hatte. Ich verstehe diese Bibelstelle aus Plädoyer gegen Doppelmoral, und für Respekt im Umgang miteinander. Natürlich hat die Frau, die gesteinigt werden sollte, Ehebruch begangen und natürlich ist das nicht nur eine Verletzung einer Anstandsregel. Jesus aber weiß um die menschliche Schwäche, und verurteilt sie nicht endgültig. Er gibt ihr eine neue Chance! Beschämend für die Pharisäer (und vielleicht auch uns) ist, wenn Jesus sagt: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Keiner traute sich auch nur einen Kiesel zu erheben!
An den schlimmsten Folgen der Doppelmoral haben wir auch innerhalb der Kirche bis in unsere Tage hinein zu leiden. Gott sei’s geklagt, gab es – verursacht durch diesen angstbesetzten Umgang mit Sexualität – Missbrauch in der Kirche. Die ganze Welle der Enthüllungen von Kindesmissbrauch durch Geistliche in den USA und in auch in Deutschland und die damit einhergehende Empörung sind verständlich: Für mich Symptome, dass sich da etwas aufgestaut hatte. und über Jahrzehnte zurückgehalten worden war. Wie bei einem Dammbruch schuf sich das explosionsartig Raum. Und man regt sich zurecht auf, dass gerade die, die immer höchste Ansprüche an die moralische Praxis stellten, selber – wenn auch nur in Einzelfällen – die schlimmsten waren.
Es ist gut, dass die Kirche sich inzwischen dieser Realität stellt. Aber die Gefühle, die bei Meldungen über „sündige Pfarrer“ hoch kochen zeigen: Die Kirche steht sich wegen ihrer Vergangenheit mittlerweile selber im Weg. Dementsprechend tun wir uns schwer, als Gesprächspartner in Liebesdingen überhaupt noch ernst genommen zu werden.
Schmetterlinge im Bauch
Es ist schade, dass Kirche sich in dieser Frage so sehr von den Menschen entfremdet hat. Weil ich davon überzeugt bin, dass der Glaube mit dem ganzen Menschen etwas zu tun. Es gibt keinen Bereich in unserm Leben, in dem Gott nicht „seine Finger im Spiel“ hätte, wenn ich das einmal so ausdrücken darf.
Das betrifft nicht nur unsere höchsten Strebungen. Auch im Alltäglichen und Banalen sollten wir Gott nicht außen vor lassen. Und welche Kräfte im Menschen haben eine ähnlich Macht, dass sie uns so stark bestimmen könnten wie die Liebe?
Erinnern Sie sich einmal daran, wie das war, wenn Sie sich einmal verliebt haben. Man spielt im wahrsten Sinne des Wortes verrückt, man nimmt die Welt ganz anders wahr. Man ist glücklich und sehnsuchtsvoll zugleich. Das ist ein Gefühl, das man nicht nur denkt, sondern man fühlt es auch. Man hat Schmetterlinge im Bauch, das Herz schmerzt. Im ganzen Körper spürt man: Da passiert etwas. Der liebe Gott hat es eigenartigerweise – oder sage ich lieber: Zum Glück! – so eingerichtet, dass wir Menschen auf dem Weg der Verliebtheit zueinander finden sollen. Die große Macht, mit der dieses Gefühl seinen körperlichen Ausdruck sucht, zeigt aber auch, wie sehr auch Triebhaftes in uns steckt. Wenn sich die Tiere sich fortpflanzen, sehen wir schließlich dieselben Kräfte auch in der Natur am Werk.
Wo ist da noch der Unterscheid zwischen tierischem Trieb und dem menschlichen Gefühl der Liebe, könnten Sie mich fragen! Ich glaube, der Unterscheid liegt darin, dass wir Menschen eine Seele haben. Wir können und müssen mit unseren Trieben und Gefühlen umgehen und ihnen eine Richtung geben. Das macht unser Menschsein aus und ist eine positive kulturelle Leistung.
Wenn dem nicht so wäre, würden wir uns tatsächlich nur „vermehren“ wie die Karnickel und der ganze Liebesstress wäre nichts anderes als Ausdruck unserer Unfreiheit. Das ist ein fundamentaler Unterschied! Oder glauben Sie, dass Karnickel Liebe empfinden oder wenigstens verliebt sind, wenn sie… na Sie wissen schon... ;-)
Des Pudels Kern der Liebe
Ohne jetzt darauf eingehen zu können, dass sich jede menschliche Liebe entwickelt und nicht dieselbe ist bei wenn man frisch verliebt ist oder nach dreißig Ehejahren, zeigen doch diese Gefühle, dass wir zuinnerst davon berührt werden. Keinen kann das kalt lassen, und jeder hat zumindest die Sehnsucht nach Liebe schon einmal verspürt.
Kaum ein Bereich menschlichen Lebens „berührt“ uns tiefer und umfassender als die Liebe. Und je tiefer ein Gefühl ist, desto weniger können wir es kontrollieren. Unsere ganze Persönlichkeit ist dabei verwickelt, die positiven Erinnerungen, wie auch die negativen. Die Annahme, die wir erfahren und auch die Zurückweisung, die wir erleiden, prägen uns bleibend. Das reicht zurück bis in unsere früheste Kindheit und die Frage, wie ich dort durch Vater und Mutter Liebe erfahren habe. Man weiß, dass Kinder, die zuwenig körperliche Zuwendung erhalten, später seelisch verkümmern.
Und das ist der Grund, weswegen das mit der Liebe und den Gefühlen manchmal so kompliziert ist. Da geht’s nicht um ein einfaches Grundbedürfnis wie den Schlaf oder den Hunger, die einfach zu befriedigen sind. Ein komplexes Gefüge von Sehnsüchten und Erwartungen!
Wenn zwei Menschen sich äher kommen, ist die Gefahr nicht zu umgehen, einander zu verletzen. Denn in der Liebe dringe ich in die Seele dieses Menschen ein, und zwar in Bereiche, die die Partnerin oder der Partner selber nicht mehr kontrollieren kann. Nur wenn ich in einen Menschen eindringe, kann ich ihn im Innersten berühren. Und genau dort ist er am verletzlichsten.
Aneinander schuldig werden
Hierin liegt für mich begründet, warum so viele Menschen gerade in der Liebe aneinander schuldig werden. Wie oft passiert es, dass sich Menschen im Namen der Liebe weh tun, weil sie da am verletzlichsten sind.
Einer der einfachsten Fälle, aber gleichzeitig einer der schlimmsten ist das „Unglücklich verliebt sein“. Klar passiert das und gehört zum Leben dazu. Aber ist es nicht furchtbar, dass diese schöne Gefühl der Liebe immer wieder dazu verdammt ist, ins Leere zu gehen und damit dem Liebenden eine Enttäuschung zu bereiten, die immer verletzend ist! Im Ernst: Angesichts dessen, was ich in meinem Umfeld schon erlebt habe – auch am eigenen Leib J – frage ich mich manchmal: Warum ist das in dieser Welt so schlecht eingerichtet. Die Theorie mit dem Töpfchen und seinem Deckelchen klappt nämlich leider nur selten!
Oder wie oft ist es so, dass die Unfähigkeit, wirklich zu lieben und miteinander in dieser Liebe zu wachsen, tragische Verletzungen hervorruft. Ich kannte jemanden, der war fast zwei Jahre mit einer Frau zusammen war, um dann festzustellen, dass er sie vielleicht doch nicht wirklich geliebt hatte! Nicht aus bösem Willen, sondern mehr aus Selbsttäuschung! Als sie, innerlich tief verletzt, um die Liebe des Mannes zu kämpfen begann, zog er sich nur immer mehr zurück, weil er sich nicht mehr auf sie einlassen konnte. Für mich damals eine sehr traurige Geschichte. Keiner wollte den anderen bösartig täuschen und doch war am Ende etwas kaputt. Die Wunde wird heilen, aber die Narben bleiben.
Ohne auf die komplexen psychischen Muster einzugehen, die zu erforschen Sache der Psychologen ist, müssen wir feststellen, dass wir Menschen wegen der Liebe einander Wunden zufügen, ob bewusst oder unbewusst. Und das liegt eben daran, dass die Liebe immer aufs ganze geht und keine halben Sachen kennt.
Der transzendente Aspekt
Sie sehen, liebe Schwestern und Brüder, bei diesem Thema geht’s ums Eingemachte. Um unser Herz, um unsere Seele. Und als Christen gehen wir sogar noch einen Schritt weiter: Wir glauben nicht nur, dass die Liebe und ihre Gefühle unser Innerstes betreffen. Wir glauben, dass durch die Liebe wir über uns hinaus geführt werden. Liebe ist etwas, was nicht einfach nur ein Bedürfnis ist wie jedes andere auch, sondern eine Kraft, die uns mit dem Göttlichen in Berührung bringt. In der Liebe wird eine transzendente Ebene berührt, die sich weder durch Hormone noch durch das hochentwickelte menschliche Gehirn adäquat erklären lässt.
Das ist eine Erfahrung, die wir mit vielen Religionen teilen: Die Ekstase der Liebe führt mich im Du über mich hinaus. Diese Verbindung ist so stark und so schwer zu beschreiben, dass wir merken: Da ist noch mehr! Just hierin kommen wir nämlich in Verbindung mit der schöpferischen Kraft, die das ganze Sein trägt.
In vielen Religionen ist ein Bewusstsein für die religiöse oder spirituelle Dimension der Liebe vorhanden. Selbst die religiös motivierte Enthaltsamkeit, wir nennen ihn Zölibat, findet sich in vielen Religionen wie zum Beispiel im Buddhismus und im Hinduismus. Auch der Verzicht kann eine Weise sein, Liebe und Eros als besonders heilige Kräfte zu verstehen.
Was ist Sünde?
Und genau jetzt kommen wir zur Beantwortung der Frage: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ Wenn wir glauben, dass es sich bei „Liebe“ nicht nur um etwas Zwischenmenschliches handelt, sondern auch „Göttliches“ berührt wird, dann ist klar, dass nicht nur der andere allein betroffen ist, wenn man einander in der Liebe verletzt.
Wenn wir in der Liebe aneinander schuldig werden, dann spüren wir, dass darüber hinaus auch die Ordnung der Liebe insgesamt gestört wird. Zwar erfahren wir Liebe unmittelbar nur in der konkreten Liebe, das heißt, wenn ich jemanden wirklich liebe, mit Leib und Seele. Aber da wir im Innersten der Liebe das Göttliche berühren, ist, wenn ich jemanden in der Liebe verletze, auch das Göttliche verletzt.
Diese Erfahrung ist sehr schmerzlich. Und diese Verletzung kann normalerweise auch nicht der Partner alleine ausräumen, denn er ist ja nicht alleine davon betroffen. Sie kenne vielleicht das Bild vom Beziehungsdreieck. Es verdeutlicht ganz gut, dass wir Menschen nicht alles alleine machen. Gott steckt immer drin. Und wenn ich einen Menschen in meinen Armen spüre, dann hat das, was ich da spüre, auch was mit dem lieben Gott zu tun, den wir einen Gott der Liebe nennen.
Wenn wir einander in der Liebe verletzen, dann werden wir Menschen meines Erachtens nicht nur untereinander schuldig, sondern wir sündigen vor Gott. Das ist zwar ein altmodisches Wort, trifft aber genau das Gemeinte. Für mich ist Sünde genau die Dimension der menschlichen Schuld, in der auch Gott „betroffen“ ist. Wenn ich sündige, dann mache ich mich schuldig an der Liebe und schneide mich ab von der Quelle meiner Lebenskraft und meines Seins: Gott!
Meine Erfahrung im Beichtstuhl, aber auch – wenn sie so wollen – an der Theke, wo mir Menschen ihre Liebesleid erzählen, ist: Ich kann mich noch so mit dem anderen versöhnt haben, immer ist ein unterirdisches Gefühl da, dass da etwas Tiefergehendes berührt wird, wenn ich in der Liebe schuldig werde. Und wenn ich an Gott glaube, dann nennen wir das Sünde.
In diesem Sinne – und das wäre eine erste Antwort auf die Frage Zarah Leanders – kann Liebe leider durchaus Sünde sein. Weil sie dann nämlich genau das Gegenteil von Liebe ist. Und immer wenn ich so etwas erlebe, dann bin ich immer erschüttert, weil es so traurig ist, wenn Menschen einander im Namen der Liebe weh tun…
Gott gehört in mein Leben
Es wäre aus meiner Sicht wichtig, wenn wir in unserem religiösen Weg immer mehr sensibel werden dafür, dass solche Erlebnisse (ob positive oder negative) den Kern unserer Seele und unseren Glauben an den Gott der Liebe berühren. In diesem Sinne gehören sie zu den spirituellsten Momenten unseres Lebens!
Meine Erfahrung ist, dass man anders lebt, wenn ich Gott genau da nicht aus meinem Leben heraushalte. Gott gehört mitten in mein Herz. Wo hoffentlich viel Liebe ist! Wenn ja, dann ist da sicher auch viel Verletzlichkeit! Ja, Gott ist der Kern und Geheimnis unserer Liebeskraft. Und deswegen sind wir hier so sensibel!
Wie befreiend es sein kann, Gott zu erfahren, wenn’s ans Eingemachte geht – und dafür ist das Sakrament der Versöhnung ein Ort –, darüber wird das nächstes Mal P. Josef sprechen. Ich kann ihnen schon so viel versprechen, dass es auch darum gehen wird, wie das praktisch geht. Das ist für viele nämlich gar nicht mehr selbstverständlich.
Fazit
Liebe Schwestern und Brüder,
„Kann denn Liebe Sünde sein“, fragten wir mit Zarah Leander zu Beginn. Meine Antwort: Natürlich nicht! Aber wenn wir die Liebe ernst nehmen, dann erkennen wir, dass wir leider Gottes manchmal in ihrem Namen aneinander schuldig werden. Wenn Gott ein Gott der Liebe ist, dann ist er, wenn das passiert, davon mindestens genauso betroffen, wie wir es sind!
Ich möchte Sie einladen, unsere Liebeskraft als eines der kostbarsten Geschenke zu verstehen, die uns gegeben sind. Und damit müssen wir vorsichtig, oder noch besser: liebevoll! umgehen.
Und ich glaube, dass Zarah Leander genau das gemeint hat, wenn sie am Ende ihres Liedes singt.
Liebe kann nicht Sünde sein,
doch wenn sie es wär'
dann wär's mir egal -
lieber will ich sündigen mal,
als ohne Liebe sein!
Liebe Schwestern und Brüder,
in diesem Sinne, darf ich ihnen sogar wünschen: Sündigen sie auch einmal, aber seien Sie bitte nie ohne Liebe!
Amen!
[1] Quelle: http://wolf.feynsinn.de/rathgeber/index.html
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Lesung Das Evangelium nach Johannes, Kapitel 8
Jesus und die Ehebrecherin
Am frühen Morgen begab sich Jesus wieder in den Tempel. Alles Volk kam zu ihm. Er setzte sich und lehrte es.
Da brachten die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden war. Sie stellten sie in die Mitte und sagten zu ihm: Meister, diese Frau wurde beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt. Mose hat uns im Gesetz vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Nun, was sagst du?
Mit dieser Frage wollten sie ihn auf die Probe stellen, um einen Grund zu haben, ihn zu verklagen. Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie hartnäckig weiterfragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Als sie seine Antwort gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort, zuerst die Ältesten. Jesus blieb allein zurück mit der Frau, die noch in der Mitte stand. Er richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!