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Fastenpredigt 2004 im Dominikanerkloster St. Paulus Worms
In der Reihe: „Kehr um! – wieso, weshalb, warum?

Sünde und Umkehr im Glauben

P. Markus Langer OP

„Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel !?“
Vom liebenden und strafenden Gott.
 


Sie wissen vielleicht, dass ich in der Krankenhausseelsorge tätig bin.
So manches Mal bin ich im Krankenhaus unterwegs und besuche Patientinnen und Patienten. Ich bekomme dabei natürlich mit, wie unterschiedlich Menschen auf Leid reagieren und auch wie unterschiedlich sie ihr Leid erklären.
Manche nehmen ihre Situation ganz gelassen hin und sagen: „Wie viele andere, so hat es nun auch mich einmal getroffen!“ Ältere Menschen hingegen sehen ihre Krankheit immer wieder mit gutem Recht auch auf dem Hintergrund ihres hohen Alters: „Mein Körper ist halt nicht für die Ewigkeit gebaut!“ so höre ich. Wiederum andere sind sich durchaus darüber im Klaren, dass sie auf Grund einer ungesunden Lebensweise selbst zum Ausbruch ihrer Krankheit beigetragen haben. Und schließlich gibt es natürlich die Menschen, die ratlos und erschüttert angesichts ihres Elends fragen: “Warum trifft es gerade mich, was ich da durchmachen muss?“ Und sie ringen mit ihrem Schicksal.


Und dann gibt es da noch eine Weise, wie Patienten auf ihre Krankheit reagieren.
Es ist eine Reaktion, die mich immer wieder einmal überrascht, wenn ich ihr begegne. So sagte mir erst Letztens wieder jemand: „Ich weiß gar nicht, wie ich das verdient habe, dass es mir jetzt so schlecht geht?“ Diese Person deutete mir an, dass ihre Krankheit im gewissen Sinn eine Strafe sei. Die Krankheit sei etwas, was sie verdient habe, eine Strafe!
Ich bin dann immer ein Stück weit perplex, wenn ich so eine Aussage höre; überrascht, betroffen und sprachlos zugleich. Was soll ich denn auf so etwas antworten? Überrascht bin ich manchmal auch deshalb, weil solche Aussagen auch von Personen kommen, die gar nicht näher kirchlich gebunden sind. Und natürlich bin ich überrascht, weil mir – und ich denke auch, meiner Generation – dieses Erklärungsmodell ziemlich fremd ist, dass Gott strafen würde. „Gott straft doch nicht!“ So ist es mir beigebracht und eingeprägt worden. „Gott ist doch nicht rachsüchtig!“
Meiner Generation ist im Großen und Ganzen genau das Gegenteil von einem „strafenden Gott“ vermittelt worden: Gott ist lieb. Gott ist geduldig und barmherzig. Ja, Gott ist gewissermaßen antiautoritär. Er lässt einem alle Freiheit. „Ein Gott der liebt und ein Gott der die Sünden straft, dass passt nicht zusammen“, so lautet ein Tenor dieser meiner Generation. Und in der Tat: ein Satz aus dem Ersten Johannesbrief scheint das zu bestätigen. Dort heißt es einmal: „Gott ist Liebe!“ – Also Liebe, und nichts anderes! Reine Liebe.

Ich versuche, in jenen Situationen die Menschen zu verstehen, die ihr Leid als Strafe sehen. Ich frage mich: „Handelt es sich bei ihren Erklärungsmustern vielleicht bloß um eine kirchliche oder kulturelle Prägung, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann?“ Schließlich weiß ich, dass den Generationen vor mir das Bild vom strafenden Gott wahrlich nicht fremd ist. So manche Priester, so habe ich hin und wieder gehört, haben dieses Bild gepredigt und auch vorgelebt und selbst vor körperlicher Züchtigung nicht halt gemacht.
Andererseits: Angesichts der realen Gefühle und Gedanken, die jene Patienten haben, frage ich mich schon einmal: „Ahnen diese Patienten nicht vielleicht doch etwas von einer Realität, die wirklich vorliegt und die bloß kleingeredet wird?“


Ich erinnere mich an ein Gespräch, dass ich vor über zehn Jahren mit einem Priester geführt habe, auf einem Spaziergang. Wir unterhielten uns über verschiedene religiöse Themen und irgendwann in diesem Gespräch sagte ich: „Aber Gott straft doch nicht!“ Der Priester blieb auf diese Aussage einfach stumm – was mich damals sehr irritierte. War er anderer Meinung? Straft Gott doch? Nein, das kann doch nicht sein!
Das Schweigen des Priesters hat mich damals verunsichert und mich dazu gebracht, mich mit neuer Offenheit, dieser Frage zu stellen. Mit den Jahren, so muss ich sagen, ist denn meine Einstellung zu diesem Thema auch etwas differenzierter geworden. Wobei ich sicher sagen muss: Bei allen Antworten, die man beim Studium der Hl. Schrift oder unseres Glaubens finden mag, es bleibt auch immer etwas Geheimnisvolles zurück. Dennoch möchte ich Sie dazu einladen, dass wir dieser Frage einmal genauer nachgehen, wie denn der liebende Gott mit der Rede vom strafenden Gott zusammenhängen könnte.


Wenn man die Hl. Schrift etwas intensiver liest, kommt man nicht darum herum festzustellen, dass da nicht nur von Gottes Liebe und Barmherzigkeit die Rede ist, sondern an allen Ecken und Enden auch davon, dass es da etwas gibt, war wir Menschen als Gottes Strafe und Gottes Zorn empfinden mögen. Und wenn man die Hl. Schrift etwas intensiver liest, dann stellt man fest, dass dort diese beiden angeblich so widersprüchlichen Seiten gar nicht als Widerspruch angesehen werden!
Überall in der Hl. Schrift ist davon die Rede, dass Gott ein sorgender und liebender Gott sei, zugleich aber auch ein Gott, der uns sagt, dass die Abkehr von ihm nicht ohne Folgen bleibt. Wer meinte, dass die Rede von Gottes Zorn vielleicht nur eine Episode des Alten Testamentes sei, der sieht sich beim Studium der Heiligen Schrift eines Besseren belehrt. Ich könnte Ihnen elf neutestamentliche Stellen aufzählen, in denen ausdrücklich und eindeutig und mehr oder weniger ausführlich von Gottes Zorn und Strafe die Rede ist. (Mt 25,46; Lk 12,47; Joh 3,36; Röm 1,18; Röm 2,5.8; Röm 12,19-20; Eph 5,6; 2 Thess 1,6.8-9; Hebr 10,26-31; 2 Petr 2,4-9; Offb 14,9-11) Viele Gleichnisse, in denen Jesus auf dieses Thema anspielt, gehören dabei zu diesen Textstellen noch gar nicht dazu! Wenn man den biblischen Befund ernst nimmt, dann kommen wir nicht darum herum: Auch Jesus, unser Herr, auch der Apostel Paulus und die anderen Schreiber der neutestamentlichen Briefe kennen diese andere Seite Gottes; sie sprechen von Gottes Strafe und Gottes Zorn.

Im Gegenzug schildert uns das Alte Testament Gott auch nicht nur als strafenden Gott, sondern liefert uns ebenso auch zahlreiche Belege, die von Gottes Liebe, von seiner Vergebung und seiner Barmherzigkeit sprechen. (z.B.: 2 Sam 12,13; Ps 78,38; Ps 85,3; Jes 43,25; 44,22; 55,7; Mi 7,18) Dass Gott Sünden vergibt und dass Gott die Menschen liebt, ist nicht erst eine Botschaft des Neuen Testamentes.

Den liebenden Gott und den strafenden Gott kann die Hl. Schrift also zusammendenken! Wie schafft es die Hl. Schrift nur, beides zusammen zu bekommen? Um dem auf den Grund zu gehen, könnten wir uns einzelne Schriftstellen genauer anschauen. Wir könnten uns zum Beispiel fragen: Was wird denn unter Strafe oder Zorn in den einzelnen Fällen verstanden? Welcher Hintergrund ist jeweils gegeben, welcher Zusammenhang? Das wäre sicher ein Weg, um die Rede von Strafe und Zorn ein wenig zu erhellen.
Aber wir können auch so herangehen, dass wir zuerst einmal das Ganze sehen. Ich meine damit: Schauen wir doch erst einmal grundlegend auf unsere Situation als Mensch und unsere Beziehung zu Gott, und versuchen wir dann, in diesen größeren Zusammenhang die Rede von Gottes Strafe und Zorn einzuordnen.


Schlagen wir also einen Bogen der Beziehung Gottes zu uns Menschen, einen Bogen, der mit der Liebe Gottes beginnt. Wir gehen davon aus, das Gott unsere Welt aus Liebe geschaffen hat. „Gott ist Liebe“, so hörten wir gerade. Und wenn Gott Liebe ist, dann wird er auch aus Liebe kreativ sein. Gerade wer verliebt ist, der weiß, dass Liebe erfinderisch macht, kreativ und schöpferisch! So entstand auch der Mensch aus Liebe – und zwar mit einer besonderen Bestimmung: Gott wünscht sich, dass wir diese seine Liebe beantworten. Er möchte mit uns in Liebe vereint sein. Gott will gewissermaßen jene Liebe, die in der Gemeinschaft seiner Dreieinigkeit lebt, ausdehnen und mit anderen teilen – in liebevoller und erfüllter Gemeinschaft, in gegenseitiger Hingabe. Unsere ganze Existenz ist auf das Ziel gegründet, dass wir Gottes Liebe mit unserer Liebe beantworten und so unsere Erfüllung und unser Glück finden.

In den 60er Jahren hat es einmal ein wissenschaftliches Experiment gegeben, bei dem man die Entwicklung von zwei Gruppen von Babies und Kleinkindern verglich, die unter zwei recht unterschiedlichen Umständen aufwuchsen: Die eine Gruppe wuchs in einem sehr ordentlichen und gut ausgestatteten Kinderheim auf. Die andere Gruppe wurde im Gefängnis groß, versorgt von ihren Müttern, die dort eine längere Strafe abzusitzen hatten. Obwohl im Kinderheim die hygienischen und sonstigen äußeren Umstände deutlich besser waren als im Gefängnis, entwickelten sich die Kinder im Gefängnis viel gesünder. Untersuchungen ergaben, dass es die Zuwendung der Mütter war, die die Kinder so notwendig brauchten, um gut heranwachsen zu können. Die Tatsache, dass die Kinder im Gefängnis von ihren Müttern angeschaut und angesprochen wurden, war der entscheidende Punkt, warum diese Kinder vergleichsweise ausgeglichen und gesund groß wurden.
Offenbar können wir Menschen nicht ohne dem Leben, dass wir angeschaut und angesprochen werden. Auch Gott schaut uns an. Auch Gott spricht uns an. Und er wartet darauf, dass auch wir ihn anschauen. Er hofft darauf, dass auch wir ihn ansprechen.

Gott lädt uns ein, eine Beziehung gegenseitiger Liebe aufzubauen und gewissermaßen seine Kinder zu werden. Jesus sagt einmal, dass wir aus dem Geist neu geboren werden müssen (Joh 3,5), ja, dass wir ein Tempel des Heiligen Geistes werden sollen (vgl. 1 Kor 6,19-20; 2 Kor 6,15-16). Denn wenn wir den Heiligen Geist haben, dann haben wir Anteil am göttlichen Leben und sind Kinder Gottes. Im Johannes-Evangelium steht, dass all denen, die Jesus aufnehmen und an ihn glauben, Macht gegeben wird, Kinder Gottes zu werden (vgl. Joh 1,12-13).
Das göttliche Leben beginnt also schon hier auf Erden. Anders gesagt: Das ewige Leben beginnt schon hier auf Erden! Das zeigt sich auch in anderen Aussagen der Heiligen Schrift. So sagt Jesus einmal: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben ... , er ist (schon) aus dem Tod in das Leben hinübergegangen“ (vgl. Joh 5,24)! Das Ewige Leben schon hier auf Erden zeichnet sich dadurch aus, dass jetzt schon der Heilige Geist in uns wohnt. Und das kann auch spürbar werden: Durch das Geschenk einer göttlichen Freude, eines wahren inneren Friedens, einer lebendigen Liebe, einer klareren Einsicht in die Botschaft Gottes und der Gleichen mehr. Diese Geschenke des Geistes sind ein erster Anteil dessen, was uns einmal im Himmel in Fülle geschenkt werden soll (vgl. 2 Kor 1,22; 2 Kor 5,5; Eph 1,14). Unsere Gemeinschaft mit Gott, die wir hier auf Erden beginnen, sie soll einmal jenseits unseres irdischen Lebens zur vollen Entfaltung kommen. Das ist unsere Hoffnung und unser Glaube!
Doch ob es zu dieser vollen Entfaltung kommt, hängt davon ab, ob wir uns schon hier auf Erden für das göttliche Leben entscheiden. Denn hier auf Erden ist die Zeit, das Leben der Gotteskindschaft zu beginnen.

Am Ende unseres Lebens aber wird Bilanz gezogen werden. Für jene Menschen, die nie die Chance hatten, etwas von dem Angebot der Gotteskindschaft zu hören, für sie wird es am Ende sicher andere Konditionen geben als wie für uns, die wir mit dieser Botschaft aufgewachsen sind. Zu uns wird Gott wohl sagen: „Ich habe dir jetzt Zeit gegeben zu wählen: Du hast gut Gelegenheit gehabt, meinen Blick und meinen Ruf zu beantworten!“ Und wenn wir sein Geschenk tatsächlich angenommen haben sollten und ein wirkliches Kind von ihm geworden sind, dann wird Gott uns voll Freude in die Fülle seiner Kindschaft hineinziehen, in den Himmel. Wobei dann allerdings noch Eines zu bedenken wäre, wenn wir denn diesen Weg gehen dürfen:


In der Offenbarung des Johannes heißt es, dass nichts Unreines in den Himmel hineinkommt (vgl. Offb 21,27).
Dass heißt: Menschen, die zwar für den Himmel bestimmt, aber noch durch irgendwelche Sünden oder durch einen verdrehten Hang zur Selbstliebe belastet sind, die sind vorerst nicht für den Himmel geeignet. Sie bedürfen noch einer Reinigung! Ihre Sünden bedürfen erst noch der Vergebung.
Dass Vergebung und Reinigung auch nach dem Tod noch möglich sind, bestätigte Jesus einmal, in dem er davon sprach, dass es manche Sünden gäbe, die noch nach dem Tod vergeben werden könnten (vgl. Mt 12,32). Wir glauben, dass er damit die sogenannten lässlichen Sünden gemeint hat, Sünden, die uns auch nach dem Tod noch nachgelassen werden.


Immer einmal wieder werden wir Seelsorger danach gefragt, ob es diese Unterscheidung zwischen lässlicher Sünde einerseits und Todsünde andererseits noch gibt. Man hört ja nicht allzu viel davon. Lassen Sie mich also kurz auch dazu etwas sagen: Ja, es gibt diese Unterscheidung noch. Man kann sie folgender Maßen erklären:
Wenn wir in die Gemeinschaft mit Gott eintreten, werden wir gleichzeitig ein Mitglied der Familie Gottes. In jeder gesunden Familie gibt es Richtlinien für akzeptable oder inakzeptable Verhaltensweisen. Zum Beispiel kann es heißen: „Wenn du vom Spielen kommst, dann stellst du deine schmutzigen Stiefel ins Regal und ziehst deine Hausschuhe an!“ Dank solcher Richtlinien und Verhaltensweisen wird das gute Zusammenleben geregelt. Sie sind fast so wie ein Bund, der uns zusammenhält. Ähnlich ist es auch mit den Geboten, die Gott uns Menschen gegeben hat. Seine Gebote zeigen uns, wie es in der Familie Gottes zugehen soll, auf dass wir in Eintracht und Frieden leben. Seine Gebote zeigen, was es bedeutet, einander zu lieben.
Wenn wir die Familienregeln der Familie Gottes aber brechen, dann steigen wir aus dem Bund aus, der unsere Familie zusammenhält. Deswegen bedeutet „zu sündigen“ im Übrigen auch mehr, als nur gegen eine Regel oder eine Gesetzesvorschrift zu verstoßen, es bedeutet auch ein zerbrochenes Zuhause! Durch die Sünde geben wir uns als Kinder Gottes auf. Wir verabschieden uns von unserem göttlichen Zuhause.
Jede Sünde schwächt das göttliche Leben in uns und trennt uns mehr oder weniger von Gott. Das kann bis dahin gehen, dass wir Kraft unseres Handelns der Kindschaft Gottes widersagen und das Leben des Geistes in uns töten! Wir wenden uns von Gott weg und lehnen damit auch das Geschenk der göttlichen Kindschaft ab! Eine Sünde, die zu einem solch gravierenden Ergebnis führt, bezeichnet man klassischer Weise als „Todsünde“. Sie tötet das Leben des Heiligen Geistes in uns. Ein Handlung hingegen, die unsere Gotteskindschaft und das Leben aus dem Hl. Geist nur schwächt, bezeichnet man klassischer Weise als „lässliche Sünde“.

Man kann eine Todsünde durch drei Kriterien beschreiben und sie so von einer lässlichen Sünde unterscheiden. Es müssen folgende drei Kriterien zutreffen, damit es sich bei einer Sünde um eine Todsünde handelt:
1. Bei der Sünde, die man begeht, muss es sich um eine schwerwiegende Sache handeln.
2. Man muss sich voll im Klaren sein über die Schwere dieser Sünde.
3. Und man muss seine überlegte und volle Zustimmung dazu geben.
Es geht bei der Todsünde also um ein schwerwiegendes Delikt, und es geht darum, dass man das weiß und das will. Ich denke, auf Grund dieser drei Kriterien wird klar, dass es sich bei der Todsünde wirklich um eine bewusste Abkehr von Gott handelt. Keiner verliert seine Gotteskindschaft unbeabsichtigt und nur so aus Versehen!
Die lässlichen Sünden aber, die das Leben des Geistes nur schwächen, doch nicht auslöschen, sind natürlich auch Verstöße gegen das göttliche Familienleben. Aber durch sie wird der Bund mit Gott nicht aufgelöst.


Kommen wir zurück zu der Frage, wie es ist, wenn wir mit lässlichen Sünden sterben. Wenn wir mit unvergebenen lässlichen Sünden sterben, bedürfen wir für sie und für all das, was noch in uns an unguten Neigungen sein mag, einer Läuterung. Die Hl. Schrift deutet an mehreren Stellen an, dass es so eine Läuterungsphase nach dem Tod tatsächlich gibt. (vgl. 2 Mak 12,46; Weish 3,5; Ijob 1,5; 1 Kor 3,15; Lk 12,59; 1 Petr 1,7; 1 Petr 3,19; Mt 18,34; Mt 12,32) Diese Phase nennen wir gemeinhin – sie ahnen es wohl schon – Fegefeuer. Ein Wort, dass ziemlich in Verruf geraten ist. Man denkt gleich an das sogenannte „finsterste Mittelalter“, was aber, so scheint mir, ungerecht ist. „Fegefeuer“ heißt im Lateinischen „Purgatorium“. Das könnte man mit „Reinigungszustand“ übersetzen. Dann klingt es bedeutend weniger dramatisch als unser deutsches Wort. Der Begriff „Purgatorium“, „Reinigungszustand“, hat ja schon etwas mit „Badezimmer“ zu tun: Wir werden dort von dem Dreck und den Verkrustungen unseres irdischen Verhaltens reingewaschen, auf dass wir einst glücklich und strahlend in den himmlischen Hochzeitssaal treten können.
Wobei das allerdings wiederum nicht heißen soll, dass diese Reinigung nicht doch auch mit Schmerzen verbunden zu sein scheint. Ich denke, schon auf Erden können wir es als etwas Schmerzliches erfahren, wenn wir unsere Sünden und deren Folgen vor Augen gehalten bekommen. Es kann sehr weh tun, wenn wir von echter Reue betroffen sind. Es kann sehr Schmerzen, wenn wir einen Entzug durchmachen müssen, um uns von schlechten Gewohnheiten zu entwöhnen. Wieso sollte es da nicht auch in der großen abschließenden Generalreinigung unseres Lebens schmerzhaft zugehen? – Verbunden allerdings mit einem inneren Jauchzen und einer ganz tiefen Freude angesichts der Erwartung des Himmels. So kann ich es mir jedenfalls vorstellen.

Das, was wir im Fegefeuer durchmachen, ist sicher etwas, was wir nun manchmal mit dem Wort „Strafe“ in Verbindung bringen. (Und hier nun taucht das Wort „Strafe“ das erste Mal auf!) Aber sie merken vielleicht: Unser Wort „Strafe“ beschreibt die Situation des Fegefeuers nur zum Teil. Denn es geht hier nicht um Rache. Wohl geht es um eine Konsequenz unserer Sünden und in diesem Sinne auch um eine Art der Vergeltung und des Ausgleichs, um Gerechtigkeit. Doch der Akzent liegt wohl noch stärker auf der Reinigung und auf der Vorbereitung für den Himmel.


Soweit zu denen, die mit lässlichen Sünden sterben. Wie aber verhält es sich mit denen, die die Gotteskindschaft auf Erden bewusst ablehnen und mit dieser Haltung sterben?
Da ist wohl Folgendes zu sagen: Wenn wir ohne Gott leben wollen und bis zum Schluss unseres Lebens bei dieser Haltung bleiben, so akzeptiert das Gott. Er wird seine Nähe und seine Barmherzigkeit und Vergebung niemandem aufzwingen. Die Gotteskindschaft ist ein freies Geschenk, das, wie jedes Geschenk, auch abgelehnt werden kann. Das heißt: Wir können das ewige Leben auf ewig verlieren! Nicht Gott schickt uns dann in die ewige Finsternis, sondern wir selbst suchen uns dann diesen Weg!

Wir sprechen nicht gerne über das Gericht und über die Möglichkeit, dass Menschen für immer verloren gehen können. Verständlich, denn wir schauen da in einen Abgrund, der uns schwindelig werden lässt. Jesus spricht allerdings um so öfter von der Möglichkeit des endgültigen Scheiterns, geradeso, als ob er gewusst hätte, dass wir dieses Thema schon einmal gerne umgehen; aber vielleicht spricht er auch deswegen so oft davon, weil es um eine eminent wichtige Sache geht. In 25 Prozent (!) seiner Reden ist es für ihn ein Thema, dass wir Menschen am Ende ein Gericht zu erwarten haben und dass dieses Gericht nicht nur ewiges Leben, sondern auch ewiges Verderben zur Folge haben kann. Diese Gedanken nehmen bei Jesus also einen relativ breiten Raum ein.

„Wie kann Gott die ewige Verdammnis zulassen?“ fragen wir vielleicht. „Ist denn so ein Schicksal mit der Vaterliebe Gottes zu vereinen!?“ so mögen wir protestieren. Unsere ganz grundlegende menschliche Solidarität stärkt in uns den Wunsch, dass doch keiner verloren gehen möge. Aber – und dieser Gedanke mag uns etwas trösten – wir können uns vorstellen, dass genau der gleiche Wunsch, dass keiner verloren gehen möge, in Gott noch unendlich viel größer ist.
In dem er uns die Freiheit gab, uns frei in Liebe für ihn entscheiden zu können, musste er uns auch die Möglichkeit geben, „nein“ sagen zu können. Unsere Freiheit, wohl die erschreckendste und zugleich herrlichste all unserer Eigenschaften, macht uns gewissermaßen ein Stück weit zu Göttern. Sie gibt uns Macht, ewiges Heil, aber auch ewiges Verderben (vgl. Mt 18,8; Mt 25,41; Mk 9,43) wirken zu können.

Gerade auch in Hinblick auf die Möglichkeit, dass Menschen das ewige Leben für immer verlieren, wird im Neuen Testament von Zorn und Strafe gesprochen. Doch Gottes Zorn und Strafe scheinen hierbei nicht ein Ausdruck dafür zu sein, dass Gott den Verlorenen etwas Böses wünscht oder antun möchte. Nein, Gottes Zorn und Strafe beinhalten vielmehr, dass Gott diese Menschen den Weg gehen lässt, den sie gehen möchten.


Gott gibt uns gewissermaßen zwei Wege vor.
Die Heilige Schrift spricht immer wieder von diesen beiden Wegen (zum Beispiel in Psalm 1). Und Gott lässt uns entscheiden. Dabei dürfen wir sicher sein, dass Gott alles Notwenige tut, damit wir den richtigen Weg finden. „Gott hat keinen Gefallen am Tod des Sünders, sondern er will, dass er umkehrt und lebt“, so heißt es einmal im Buch des Propheten Ezechiel (Ez 33,11). Gottes Interesse ist es, uns zu einem Leben mit ihm zu gewinnen: Durch die Schönheit der Schöpfung. Durch die Geschichte seines Volkes Israel. Dadurch dass er uns seine Liebe zeigte, in dem er selbst Mensch wurde und er für uns sein Leben hingab. Durch Menschen, die von ihm künden. Durch die Heilige Schrift. Durch die Stimme des Gewissens und durch vieles andere mehr. Und doch lassen sich Menschen davon oft nicht beeindrucken.


Schließlich, nur um uns vor Schlimmerem zu bewahren, greift Gott manchmal zu der Lösung, dass er uns Steine in den Weg legt,
damit wir uns von unseren Sünden abwenden. Steine, die wir manchmal als Strafe empfinden mögen und die in der Heiligen Schrift ja tatsächlich auch so bezeichnet werden.
„Wen der Herr liebt, den züchtigt er,“ so heißt es im Hebräerbrief (vgl. Hebr 12,6.8). Das sind Worte, die uns an unsere eigenen Erfahrungen aus dem Familienleben erinnern mögen: Zu einer guten Erziehung gehört, dass man Kindern ihre Grenzen zeigt. Tut man das nicht, so fällt es ihnen in ihrem späteren Leben schwer, Grenzen einzuhalten, was sie dann vielleicht bitter bezahlen! Denn Mutter und Vater nicht zu gehorchen, mag ohne Folgen bleiben. Doch später dann zum Beispiel nicht die Disziplin zu haben, sich an Verkehrsregeln zu halten, das kann böse Konsequenzen nach sich ziehen; bis dahin, dass man im Krankenhaus liegt oder sich zu Tode fährt. Von daher ist es ein Geschenk, wenn Eltern ihren Kindern in einem guten Maße Grenzen setzen, auf dass sie lernen, sich selbst zu beherrschen und so vor manchen Umwegen bewahrt bleiben.
In diesem Sinne wendet wohl auch unser himmlischer Vater das Mittel der Strafe an. Er tut es aber mit viel Vorsicht und auch erst dann, wenn es anders nicht mehr geht. Jedenfalls geht das aus dem Buch der Weisheit hervor. Da heißt es nämlich:
„Du ... siehst über die Sünden der Menschen hinweg, damit sie sich bekehren ... . Darum bestrafst du die Sünder nur nach und nach; du mahnst sie und erinnerst sie an ihre Sünden, damit sie sich von der Schlechtigkeit abwenden ...“ (vgl. Weish 11,23-12,2; vgl. auch Weish 12,23ff).

Dass Gott unsere Sünden straft, dass mag sich also im konkreten Leben darin zeigen, dass Gott uns unser sündiges Fehlverhalten zu vermiesen sucht. Wenn er so handelt, dann ist das nicht ein Ausdruck von Zorn, sondern ein Ausdruck seiner Vaterliebe! So kann es gerade umgekehrt ein Ausdruck des Zornes Gottes sein, wenn er seine väterliche Disziplin nicht einsetzt und uns den Folgen eines sündigen Verhaltens überlässt . Dazu ein Beispiel: Im Römerbrief wird einmal ein Fall geschildert, in dem sich Gottes Zorn darin zeigt, dass er Sündern sich ihrer Liebe zu sündhaften Taten überlässt: „Gott lieferte sie durch die Begierden ihres Herzens der Unreinheit aus, so dass sie ihren Leib durch ihr eigenes Tun entehrten“, so heißt es dort (Röm 1,24).
Wenn Gott einen Menschen seinen Begierden überlässt, ist das im Grunde eine furchtbare Strafe, denn wir wissen, das dadurch unser Familienband mit Gott zerreißen kann. Wir könnten fragen, wie dieses Verhalten Gottes wohl zustande kommt. Und vielleicht könnte man darauf folgende Antwort geben:
Wenn wir versucht werden, sind wir zunächst verpflichtet der Versuchung zu widerstehen. Versagen wir aber und sündigen, dann sollten wir zumindest sofort bereuen. Bereuen wir aber nicht, dann überlässt Gott uns unserem Willen; er lässt uns die natürlichen Konsequenzen unserer Sünden erfahren. Wenn wir dann immer noch nicht bereuen – nämlich durch Verzicht auf unsere Sünden und Umkehr – dann lässt Gott uns in der Sünde verharren, wodurch unsere Sünden zur Gewohnheit werden, was wiederum mit der Zeit unseren Verstand vernebelt und den Willen schwächt. Wenn sich dieser Prozess fortsetzt, dann werden schließlich unsere Werte auf den Kopf gestellt: Das Böse wird zum dringendsten „Gut“, zu unserer tiefsten Sehnsucht, das Gute aber erscheint uns nun als „böse“, weil es uns von der Befriedigung unserer sündhaften Wünsche abzuhalten versucht. An diesem Punkt wird Reue, also Abkehr vom Bösen und Umkehr zum Guten, fast unmöglich. Jetzt hat der Sünder gut und böse für sich umdefiniert.
Wenn wir soweit gekommen sind, dass wir uns dermaßen von der Sünde beherrschen lassen, kann uns im Grunde nur noch ein Unglück retten. Dass Gott es zum Beispiel bei einem Trinker zulässt, dass er von seiner Frau verlassen wird, kann dann das Beste und Barmherzigste sein, was Gott für ihn tun kann, weil dieser Mann so vielleicht endlich gezwungen ist, Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen.

Gott kann also auch schlimme Umstände nutzen, um uns von einem sündigen Leben wegzubringen. Wir merken also auch hier: Wenn die Hl. Schrift von Strafe spricht, meint sie damit nicht einen rachsüchtigen Akt. Nein, hinter einer solchen sogenannte Strafe zeigt sich vielmehr väterliche Liebe.


Kehren wir zum Schluss nochmals zurück zu den Patienten, die mir sagen, dass sie ihr Leid als Strafe verstehen.
Ich vermag in keinem einzigen Fall zu beurteilen, ob diese Deutung wahr ist oder nicht. Immerhin sagt die Hl. Schrift ja ganz ausdrücklich, dass man ein Leiden nicht automatisch als Strafe für eine begangene Sünde ansehen darf. Die alttestamentliche Geschichte von Ijob ist ein Paradebeispiel dafür, dass Menschen auch dann schon einmal leiden, wenn sie keine Sünde begangen haben. Leid muss also nicht eine Strafe Gottes sein. Andererseits vermag ich im konkreten Fall aber auch nicht, eine solche Interpretation rundweg abzulehnen.
Dieses Eine kann ich aber immer sagen:
In soweit ein Leiden wirklich etwas ist, was mich zu Gott zurück führen soll, in soweit ist dieses Leiden auch ein Zeichen der Liebe Gottes. Es ist ein Zeichen, dass er mich sucht! Es ist ein Zeichen, dass er um mich ringt! Es ist ein Zeichen, dass er leidenschaftlich um mich kämpft! Nicht Vergeltung oder Rache ist sein Ziel, sondern im Gegenteil: Die Hoffnung, dass wir uns für das ewige Leben und die Gotteskindschaft entscheiden würden. Denn dazu sind wir erschaffen. Dort findet sich das Glück.

Gott legt uns also zwei Wege vor. An uns liegt es zu wählen. Und glücklich der Mensch, der nicht auf dem Weg der Sünder geht, sondern Freude hat an der Weisung des Herrn (vgl. Ps 1).