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Fastenpredigt 2004 im Dominikanerkloster St. Paulus Worms
In der Reihe: „Kehr um! – wieso, weshalb, warum?
Sünde und Umkehr im Glauben
9. März 2004: P. Karl Gierse OP
„Ein gutes Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen“
Vom guten und schlechten Gewissen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder,
als ich mich hinsetzte und mir Gedanken zum Thema „Gewissen“ machte, ist mir sehr bald ein Ereignis in den Sinn gekommen, das sich ziemlich genau vor 483 Jahren, am 18. April 1521, 300 Meter Luftlinie von unserem Wormser Kloster (von hier) in der Residenz des Bischofs am Dom zugetragen hat. Ein Ereignis, das nicht nur die deutsche, nein die Geschichte der Welt verändert hat.
Der Noch-Augustinermönch Martin Luther war vor den Kaiser und den versammelten Reichstag zitiert, um auf die Frage zu antworten, ob er die in seinen Büchern aufgestellten Auffassungen widerrufen wolle. Die Antwort Luthers kennen wir alle, spätestens seit dem letzten Lutherfilm in Kino. Wenn auch der heroische Ausspruch, den wir in der Schule gelernt haben: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, eher dem Bereich der Legende zugeordnet werden muss, Luther bleibt sich und dem, was er geschrieben hat treu und widerruft nicht. Dabei beruft er sich auf sein Gewissen und sagt – so überliefern es die Quellen - : „weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist. Gott helfe mir, Amen“.
Da beruft sich jemand auf sein Gewissen und begründet es damit, dass es nicht heilsam sei, etwas gegen sein Gewissen zu tun.
Und Luther trifft eine Gewissensentscheidung mit enormen Konsequenzen: zum einen für den Gang der Weltgeschichte, zum anderen aber auch für sich selbst. In den Tagen, Wochen und Monaten nach seiner Entscheidung von Worms hat er sicher oft sehr schlecht geschlafen, aus Angst vor Verfolgung, Inhaftierung, Folter oder Tod. Von sanftem Ruhekissen war da nicht zu reden. Und dennoch, ein gutes Gewissen wird er gehabt haben, weil er überzeugt war, das er tun musste, was er getan hat.
Das Gewissen, liebe Schwestern und Brüder, offensichtlich eine machtvolle Instanz im Menschen, an der man – und auch frau - nicht so leicht vorbeikommt.
Dabei muss ich ja gar nicht auf heroische Gestalten der Geschichte zurückgreifen.
Wir alle, sie und ich, haben unsere Erfahrungen mit dem Gewissen. Wir alle haben es erlebt, dass das Gewissen uns umtreibt, nicht zur Ruhe kommen lässt, bis wir etwas in Ordnung gebracht haben.
Mir fällt diese Predigt ein. Seit Wochen weiß ich, dass ich sie heute halten muss. Aber es gibt vieles Andere, das attraktiver ist, als sich an den Computer zu setzen und eine Predigt auszuarbeiten. Aber irgendwann meldete sich dann das Gewissen und sagte mir: nun geht kein Weg mehr daran vorbei, du musst dich hinsetzen und anfangen zu schreiben. Und immer, wenn ich dann etwas anderes tat, Zeitung las, ins Kino ging, bekam ich das sogenannte „schlechte Gewissen“, was ja eigentlich alles andere als „schlecht“ ist, denn wenn es diese Botschaft des Gewissens nicht gegeben hätte, wäre ich vielleicht tatsächlich mit der Vorbereitung in Zeitnot gekommen und sie müssten unverrichteter Dinge heute Abend wieder nach Hause gehen.
Neben dieser Erscheinungsform des Gewissens, die uns mahnt und drängt und uns manchmal lästig ist, kennen wir aber – Gott sei Dank – auch jenes wunderschöne Gefühl des sogenannten „guten Gewissens“. Ich hoffe, dass ihnen jetzt ganz spontan zig Begebenheiten in der jüngeren Vergangenheit einfallen, in denen sie solch ein gutes Gewissen hatten. Vielleicht war es ein guter Rat, den sie einer Freundin geben konnten und der dann auch wirklich geholfen hat. Vielleicht konnten sie nach vielen Stunden harter Arbeit auf eine gelungene Leistung blicken. Es sind diese Situationen, die das Sprichwort vom „guten Gewissen als sanftem Ruhekissen“ haben entstehen lassen.
All diese Beispiele, Schwestern und Brüder, machen deutlich, dass das Gewissen eine machtvolle und einflussreiche Institution ist. Sie gibt uns auf der einen Seite positives „feed back“, das uns bestärkt, in bewährter Weise unser Leben zu führen.
Auf der anderen Seite ist es „ein Stachel im Fleisch“, eine drängende, manchmal lästige Kraft, die uns antreibt, unser Leben so zu gestalten, dass es ein gutes Leben, ein Leben in Fülle ist.
Schwestern und Brüder, schon zig Mal ist ihnen von
dieser Kanzel der Satz Jesu, des „Guten Hirten“ verkündigt worden: „...ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben!“. Auch ich habe diese Verheißung hier und heute schon zitiert.
Es ist wirklich ein Kernsatz unseres Glaubens, der uns als erlöste Menschen mit Zuversicht unseren Lebensweg gehen lässt.
Diese Verheißung des Lebens in Fülle, sie ist primär und vor allem Gnadengeschenk Gottes. Das heißt aber nicht, dass der Mensch ein solches Leben ganz ohne eigenes Zutun erlangt. Für den Weg zu Gott hat Christus uns ein einfaches Rezept hinterlassen: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“
Damit hat Christus uns den Maßstab für ein gelingendes Leben gegeben. Wenn wir das Leben wählen wollen, wenn wir ein Leben wählen wollen, das über den Tod hinaus geht - und ich gehe einmal davon aus, dass wir das alle tun - dann muss unser Leben auf Gott ausgerichtet sein.
Der Hl. Thomas von Aquin hat diese Einsicht vor vielen hundert Jahren so formuliert: „ Der Mensch ist angelegt darauf, sein Leben auf Gott hin auszurichten, und dies kann er durch eine Orientierung an Jesus Christus, dem Urbild wahren Menschseins, tun! (Prolog zur Summa)
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass die Menschheit erst mit Jesus Christus einen Maßstab, ein Wissen bekommen hat, wie der Mensch sein Leben gestalten soll. Gott hat den Menschen geschaffen nach seinem Bild, wir sind Kinder Gottes. Könnte ein Vater für seine Kinder etwas anderes wollen als das Beste?
Die Zehn Gebote, das Grundgesetz unseres Glaubenslebens, sie werden manchmal vorschnell als einengend und reglementierend betrachtet, als unliebsame Verbote und Gebote. Von Gott sind sie nicht so gedacht, Schwestern und Brüder. Im Buch Deuteronomium beteuert er: „ Möchten sie doch ihr Leben lang auf alle meine Gebote achten, damit es ihnen und ihren Nachkommen immer gut geht!“
Du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht die Ehe brechen. Das sind keine Anweisungen, mit denen Gott den Menschen ärgern will. Nein es sind elementare Grundregeln, die ein Miteinander der Menschen erst ermöglichen. Gottes Gebote sind von allem Anfang an An-gebote für ein gelingendes Leben, Maßstab für ein Leben in Fülle.
Dabei kennen die Texte des Alten Testamentes, wenn sie auf einen verbindlichen Maßstab für ein gottgefälliges Leben zu sprechen kommen, noch nicht den Begriff „Gewissen“ . Die Bücher des AT siedeln die Institution, die dem Menschen sagt, was er tun und was er lassen soll, im Herzen an. Als Gott seinem auserwählten Volk sein Grundgesetz verkündet hat, da schließt er seine Rede mit der Anweisung: „Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen.“
Ich erwähne dieses AT-Gewissensverständnis, Schwestern und Brüder, weil es meiner Meinung nach eine hilfreiche und interessante Erweiterung unseres modernen Gewissensverständnisses darstellen kann. Die modernen Humanwissenschaften, die sich mit der Entwicklung des Gewissens beschäftigen, sie siedeln dieses natürlich im menschlichen Verstand an. Gewissensurteile – so denke ich – lassen sich letztlich aber gar nicht immer „nur“ rational erklären. Wenn wir an das Beispiel vom Anfang denke, an einen Martin Luther oder an andere bekannte Gewissenshelden der Geschichte, an eine Sophie Scholl oder einen Grafen Stauffenberg, dann bleibt in ihren Entscheidungen ein Rest von – im guten Sinn– irrationalen Gründen, die einen Menschen zu seinem Gewissen stehen lassen, auch wenn das für ihn zunächst mit massiven Nachteilen verbunden ist. Diesen Motivrest des Gewissensurteils nach AT-Vorstellung im Herzen des Menschen anzusiedeln, kann – so denke ich - ein hilfreiches Denkmodell abgeben. Auch wenn wir heute wissen, dass die Entscheidungen für unsern Handeln im Kopf fallen, so lässt sich doch denken, dass wir von Gott ein Grundempfinden dafür mitbekommen haben, was wir tun und was wir lassen sollten.
Die Sicht des AT ist auch noch die Sicht des Juden Jesus von Nazareth, und so finden wir den Begriff „Gewissen“ in den Evangelien nicht. Erst mit Paulus hält „das Gewissen“ Einzug in die Hl. Schrift.
In der Apostelgeschichte beispielsweise wird uns berichtet, dass sich Paulus im Verhör vor dem Statthalter Felix verteidigt: „Ich diene dem Gott meiner Väter. Ich glaube an alles, was im Gesetz und in den Propheten steht....Deshalb bemühe ich mich, vor Gott und den Menschen immer ein reines Gewissen zu haben.“ Das „reine Gewissen“ ist für Paulus Lebensmaxime. Leben mit einem reinen Gewissen ist für ihn – und da kann uns Paulus wirklich Vorbild sein – es ist vor allem ein Leben in der Verantwortung vor Gott. Was will Gott, das ich vermeide, aber auch: was will Gott, dass ich tue.
Welche Macht und welche Kraft vom Gewissen ausgeht, das haben uns alle Apostel gezeigt. Ich erinnere beispielsweise an das mutige Auftreten des Petrus vor dem Hohen Rat in Jerusalem. Trotz strengen Verbotes hatten die Apostel im Tempel die Frohe Botschaft verkündet. Auf die Vorhaltungen des Hohenpriesters prägt Petrus den Satz, der für die Gewissensthematik so zentral geworden ist:
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ – Der Wille Gottes ist der letzte Maßstab meines Lebens.
Ein Satz, liebe Schwestern und Brüder, der nichts von seiner Aktualität verloren hat.
Mit dieser Maxime sind Menschen aller Zeiten letztlich sehr gut gefahren. Sie haben auf die Stimme ihres Gewissens gehört, haben sich vom drängenden Gewissen antreiben und korrigieren lassen oder sind in Übereinstimmung mit ihrem Gewissen eine guten Lebensweg gegangen. Die Heiligen, die wir verehren, sind in der Regel herausgehobene gute Beispiele für ein Leben in der Verantwortung vor Gott, in der Verantwortung vor dem Gewissen. Aber ich rechne uns, Schwestern und Brüder, Sie und mich, auch schon etwas zu diesen Heiligen dazu. Ich habe es am Anfang ja schon einmal angesprochen. Wir kennen sie noch die Stimme des Gewissens. Wir kennen noch das schlechte Gefühl, das uns überfällt, wenn uns bewusst wird, dass wir jemanden verletzt haben, und das uns drängt, Wiedergutmachung und Versöhnung zu suchen. Wir spüren die Verantwortung, die wir als Christen haben, wenn wir die Not des Nächsten sehen und wir handeln entsprechend.
Aber wir erleben tagtäglich auch anderes. Wir erleben Menschen, die gesetzliche Regelungen missbrauchen und dabei auch nicht den Anhauch von Gewissensbissen haben, sondern offensichtlich gut dabei fahren. Ich nenne nur einige Schlagworte:
Steuertricks, Subventionsbetrug, Arbeitslosengeld. Die Medien präsentieren uns Menschen, die offensichtlich keine innere Stimme davon abhält, ein Kind zu entführen und es schließlich zu töten, um Millionen für die eigene leere Geldbörse zu erpressen. Leben scheint – zumindest auf den ersten Blick - auch mit einem Schrumpf-Gewissen möglich zu sein - oder sogar gewissenlos.
Und noch ein weiteres Phänomen möchte ich ansprechen. Da gibt es Menschen, die berufen sich auf ihr Gewissen, auf die Freiheit ihres Gewissens, wo unser Verstand und unser Gefühl uns sagt, das ist absurd, das kann nicht sein. Ich denke an Selbstmordattentäterinnen und Attentäter, über die wir leider tagtäglich in den Medien erfahren. Sie behaupten ihrem Gewissen zu folgen und nehmen dabei das Leben Hunderter und Tausender unschuldiger Menschen in Kauf, um für ihre Sache zu demonstrieren.
Der Begriff „Gewissen“, er ist schillernd geworden in unseren Tagen
Die großen Theologen des Mittelalters sind noch davon ausgegangen, dass dem Menschen von Natur aus eine „vox dei“, eine Stimme Gottes mitgegeben wurde, eine Stimme, die ihm sagt, was gut und böse ist, was er zu tun und was er zu lassen hat. Der Hl. Thomas nennt diese Stimme des Gewissen eine „natürliche Anlage“, über die jeder Mensch verfügt.
Die Humanwissenschaften, sei es die Anthropologie, seien es Biologie, Psychologie oder Pädagogik, sie lehren uns heute etwas anderes. Ein angeborenes Gewissen gibt es nicht. Der Maßstab, nach dem der Mensch sein Leben gestaltet, der ihm sagt, was er tun soll und darf und was er zu lassen hat, dieser Maßstab muss in jedem Menschen erst entwickelt werden. Im Verlauf seines Lebens, von der frühkindlichen Erziehung im Elternhaus, über Schul- und Berufsausbildung, durch die Auseinandersetzung mit Mitmenschen und Medien bildet sich im Menschen ein Wertemaßstab, der für sein individuelles Leben maßgeblich ist. Gemeinhin wird er auch heute noch Gewissen genannt, aber mit der „Stimme Gottes“, die Leben in Fülle für alle will, hat er vielfach so viel zu tun, wie die Kuh mit dem Sonntag.
So unterschiedlich die Wertvorstellungen im Elternhaus sind, so verschiedenartig sind die Lernziele der Schulen und Ausbildungseinrichtungen. Und wenn wir einmal als repräsentativ annehmen, was uns die Medien in Talk-Shows und Filmen als Lebensentwürfe vor Augen stellen, dann bleibt nur der Schluss: alles ist möglich !
Es gibt keinen verbindlichen Wertmaßstab mehr und die Gewissen in unseren Mitmenschen, sie sind so verschieden, wie es Köpfe gibt. Wenn ich Außergewöhnliches tun will, dann berufe ich mich auf meine Gewissen und beanspruche damit quasi einen Freibrief. Gewissensfreiheit meint heute oft eine Freiheit im Sinne von Beliebigkeit.
„Kehrt um! – wieso, weshalb, warum?“, heißt das Oberthema dieser Predigtreihe.
Schwestern und Brüder, für mich stellt sich die Frage, ob Menschen mit einem Gewissensverständnis – so wie ich es gerade , sicherlich unvollkommen, skizziert habe - zu jenem Leben in Fülle kommen können, das uns verheißen ist. Ich denke, nicht!
Schwestern und Brüder, wenn wir als Einzelwesen auf der Welt wären, könnten wir vielleicht so leben. Nicht aber als soziales Wesen, was wir sind.. Wir sind darauf angewiesen, in Beziehungen zu leben, in unseren Familien, in unserem engeren Umfeld, in der staatlichen Gemeinschaft. Und schließlich – das ist unser Glaube – leben wir in einer Beziehung zu Gott, der uns das Leben geschenkt hat und ihm Ziel und Sinn gibt.
Sobald wir aber in Beziehung treten, treten wir auch in eine Verantwortung ein. In die Verantwortung, diese Beziehung zu gestalten, sie so zu gestalten, dass für alle Beteiligten Leben möglich wird. Meine Freiheit, mein Leben so zu gestalten, wie ich es möchte, sie endet da, wo die Freiheit des Anderen anfängt. Oder umgekehrt. Wenn der Nächste macht, was er möchte, wenn er in seinem Leben keinen Maßstab hat, der ihm sagt, was er tun und was er lassen soll, dann wird Leben miteinander unmöglich. Menschliches Leben braucht einen Maßstab, und dieser Maßstab heißt Gewissen.
Das Gewissen, liebe Schwestern und Brüder, es ist kein Folterinstrument, das aus dem Horrorkabinett des Mittelalters stammt und auch dahin verbannt gehört. Nein, das Gewissen ist eine weise Einrichtung unseres Schöpfers, mit der er uns Menschen Leben in Fülle schenken will.
Voraussetzung dafür ist, dass wir dieses Gewissen gut ausbilden, damit es seinen Zweck, dem Menschen zu dienen, auch erfüllen kann.
In diesen Tagen ist viel vom Werteverfall die Rede. Grundwerte gesellschaftlichen Zusammenlebens , wie z. B. der des Lebensschutzes, werden in Frage gestellt. Ich denke, wenn die Gesellschaft es nicht mehr schafft, sich auf ein gemeinsames Wertefundament zu verständigen, wenn menschliches Leben, sei es in seinen Frühformen oder in seinem Sterbeprozess, nichts absolut Schutzwürdiges mehr ist, dann wird gesellschaftliches Miteinander schwierig.
Das Gewissen der Menschen wieder dafür zu schärfen, was menschliches Leben, was Leben in Fülle ausmacht, ist eine ganz wesentliche Aufgabe unserer Zeit.
Das Christentum kann der Menschheit ein hervorragendes Angebot machen. Gott hat uns ein Gesetz aufs Herz geschrieben, mit dessen Hilfe wir zu Leben in Fülle kommen können und dieses Gesetz heißt: Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Liebe zu Gott, Liebe zu meinem Nächsten, Liebe zu mir selbst. Das ist der Maßstab, den unser Gott uns für unser Leben mitgibt.
Diesen Maßstab in uns zu verankern, das ist Aufgabe einer guten und verantwortlichen Gewissensbildung. Wenn die Liebe zu Gott im Menschen grundgelegt wird, von den Tagen seiner frühen Kindheit an. Wenn der Mensch im Verlauf seines Lebens diese Liebesbeziehung immer weiter entfaltet und intensiviert, dann wird Leben in Fülle für ihn möglich. Dann wird er aus Liebe zu Gott versuchen, Handlungen zu unterlassen, die dem Willen Gottes nicht entsprechen. Das wird ihm und seiner Mitwelt gut tun. Dann wird dieser Mensch aus der selben Liebe zu Gott mit den Talenten, die Gott ihm geschenkt hat, auch wuchern, so wie es in der Bibel heißt. Und auch das wird ihm und der Mitwelt gut tun.
Zum Zweiten. Die Liebe zum Nächsten. Nur ein Beispiel: Wie gut würde es der Gewissensbildung tun, wenn die Firmen, die Computerspiele entwickeln, statt in die Entwicklung von Kriegsspielen zu investieren, mit ihren Spielen zur Verantwortung gegenüber Schwächeren, gegenüber Benachteiligten, gegenüber Notleidenden erziehen würden. Ich denke, diejenigen, die am Erziehungsprozess für die nachwachsende Generation beteiligt sind – Elternhaus, Schule, Verbände, vor allem aber auch die Medien, sie müssen wieder stärker ihre Verantwortung wahrnehmen, dass in den Heranwachsenden ein Wertmaßstab grundgelegt wird, der den Nächsten im Blick hat und Leben mit ihm möglich macht.
Zu einem gut gebildeten Gewissen, liebe Schwestern und Brüder, gehört letztlich aber auch der rechte Maßstab für die Liebe zu sich Selbst. Nicht der hat ein gut gebildetes Gewissen, der sich ständig anklagt, dem nichts gut genug ist, der immer unzufrieden mit sich ist. Nicht zu Unzufriedenheit und Skrupeln soll das Gewissen führen, sondern zu einem erfüllten und frohen Leben.
Ja , es sind hohe Ansprüche, die das Gewissen erfüllen muss. Deshalb geht kein Weg daran vorbei, dass wir in unser Gewissen investieren müssen, und das ein Leben lang. Gute Gewissensbildung kann dabei auf der einen Seite planvoll erfolgen. Ich denke an eine gute, fundierte Ausbildung. Ich denke an die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs. Ich denke an das Wahrnehmen kultureller Angebote: Theater, Kino, Literatur. Dabei schadet es a priori auch nicht, von Zeit zu Zeit einmal in den Katechismus hinein zu schauen und sich zu informieren, was die Lehre der Kirche zu bestimmten Fragen ist. Sie können ja immer noch ein zweites Buch mit einer zweiten Meinung hinzu nehmen.
Gewissensbildung, liebe Schwestern und Brüder, sie kann aber auch gleichsam „nebenbei“ erfolgen, indem ich am Leben der Gemeinde teilnehme, den Gottesdienst besuche, mit offenem Ohr und offenem Herzen die Texte der Hl.Schrift auf mich wirken lasse. All das wird mein Gewissen für das schärfen, was ich tun und was ich meiden sollte.
Das kann auch einmal dazu führen, dass mir mein Gewissen den Schlaf raubt, weil es mich drängt, gegen den Strom zu schwimmen, nicht den einfachen Weg zu gehen, sondern den, der Kampf und Ärger mit sich bringt.
Nein, das Gewissen ist nicht immer einen sanftes Ruhekissen, Schwestern und Brüder, aber wenn es ein gutes – ein gut gebildetes - Gewissen ist, dann ist es wahrlich ein Geschenk Gottes. Es treibt uns voran auf dem richtigen Weg und drängt uns zur Umkehr, wenn wir uns verrannt haben. Es ist der Wegweiser für ein Leben in Fülle, für uns und für unsere Mitmenschen.
Amen
P. Karl Gierse O.P., Worms
Text: Konst. „Gaudium et Spes, Nr. 16. tlw.