P. Dr. Ulrich Engel OP, Berlin / Köln
Studienregens der Dominikaner-Provinz Teutonia
Sehr geehrter Herr Weihbischof Dr. Neymeyer,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kissel,
verehrte Damen und Herren, liebe Mitbrüder,
„Oh Paris, wie sehr bist du dazu angetan, die Seelen zu packen und zu enttäuschen! In dir gibt es Netzwerke des Lasters und Fallgruben des Bösen; in dir durchbohrt der Pfeil der Hölle die Herzen der Törichten...“ So schrieb 1164 Petrus Cellensis, zu jener Zeit Abt des Benediktinerklosters Montier-la-Celle in der französischen Champagne, an einen seiner Mönche. Petrus warnte vor der Verführungskraft der Pariser Schulen samt ihren Theologen und wetterte ge-gen alle maßlose intellektuelle Neugier. Statt die theologischen Schulen zu besuchen, solle man sich lieber der „Schule Christi“ – dem Kloster – anvertrauen. Kloster statt Schule, Christus statt Theologie, die Abgeschiedenheit der Provinz statt der Verführungen von Paris – so lauteten (kurz zusammengefasst) Credo und dringlicher Rat des mittelalterlichen Mönches.
Ihr hier in Worms macht nun genau das Gegenteil von dem, was der Herr Abt dem frommen Bruder eingeschärft hat: ihr holt die Theologie ins Kloster hinein, ihr siedelt die Reflexion mitten im Kreuzgang an, ihr ladet ganz buchstäblich zu „Kreuzganggesprächen“ ein.
Dass ihr des Abtes Warnungen in den Wind schlagt, hat weniger mit den Unterschieden zwischen Worms und Paris zu tun – eher schon mit der Farbe des Habits. Denn hier in Worms sind weißgewandete Dominikaner am Werk und eben keine schwarzgekleideten Mönche der benediktinischen Tradition. Es war nämlich der hl. Dominikus höchst selbst, der 1217 seine Brüder nach Paris ausgeschickt hat : in jenes Paris mit seiner Universität, vor der Abt Petrus gut 50 Jahre zuvor so große Angst hatte.
Kurz und gut: das Geschäft des kritischen Nachdenkens über Gott und die Welt – und nichts anderes ist Theologie! – verbindet sich bei uns Dominikanern untrennbar mit dem gemeinsamen Leben im klösterlichen Konvent. Und weil das so ist, von Anfang an, sind eure neu gegründeten „Kreuzganggespräche“ ein – im besten Sinne des Wortes – traditionelles Projekt: verwurzelt in dem, was Dominikus, Albert der Große und Thomas von Aquin und manch andere Brüder mehr uns vorausgelebt haben.
Ganz bewusst habt ihr eure Veranstaltungen hier im Kreuzgang als „Gespräche“ ausgewiesen. Das Gespräch gründet im Dialog, der das Gegenteil von Indoktrination oder Belehrung ist. In diesem Sinne werden hier wohl kaum Oberlehrer, Gurus und Bescheidwisser zum Zuge kommen. Zum Glück! Thomas von Aquin war der festen Überzeugung, „dass im strengen Sinne niemand jemand anderen belehren kann. Alles, was der oder die Lehrende tun kann, ist, die Studierenden bei ihrem Entdeckungsprozess zu begleiten.“ Dass die „Kreuzganggespräche“ vielen Menschen aus Worms und Umgebung zu solchen guten Entdeckung verhelfen mögen, das wünsche ich von Herzen.
Und noch eines: Das Verhaftetsein in der altehrwürdigen Tradition allein reicht nicht aus – auch wenn die von großartigen Namen geziert ist! Wie jugendlich eine Institution ist, lässt sich daran abmessen, welche Risiken sie eingeht. Schon kurze Zeit nach ihrer Gründung erwies sich die Pariser Dominikanerkommunität als ein geistiger Ort, an dem das christliche Denken in mutiger Weise griechische Vernunft und arabische Wissenschaft traf. Dass dies so manchem kleinmütigen Zeitgenossen nicht gefiel, ist wahr. Genau so wahr ist allerdings auch, dass alle Versuche fehlschlugen, das neue Denken der jungen Predigergemeinschaft per decretum und von oben herab unterbinden zu lassen. In diesem Sinne wünsche ich auch eurem Projekt vor allem die „intellektuelle und religiöse Kühnheit“ , mit der unsere jugendlich unbekümmerten Brüder von Paris damals ans Werk gegangen sind.
Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Brüder,
Worms ist nicht Paris. Aber vielleicht wird Worms zukünftig – dank der „Kreuzganggespräche“ – ein neues KleinParis. Zu wünschen wär’s...