Lust auf Sünde ? „Hochmut kommt vor dem Fall“ – die Sünde des Stolzes Fastenpredigt am 13.03.2012 (P. Thomas Möller OP)

Fastenpredigt 13. März 2012

Lust auf Sünde ?
„Hochmut kommt vor dem Fall“ – die Sünde des Stolzes

P. Thomas Möller OP

Liebe Schwestern und Brüder,

warum darf ich nicht stolz sein? Warum sollte der Stolz eine Todsünde sein, sogar die erste, die allen anderen vorausgeht. Denn auf etwas stolz sein, ist doch erst einmal etwas sehr positives. Da fallen mir viele Beispiele ein:
Zitate von Eltern und Großeltern: „Ich bin stolz auf meine Kinder.“ „Auf meine Enkelkinder, die sind einfach toll.“ „Ich bin stolz, dass wir es in unserem Leben zu etwas gebracht haben.“ „Dass wir gesund und zufrieden leben können.“
Oder: „Ich bin stolz auf meine guten Noten in der Schule, an der Hochschule oder an der Universität.“ „Auf meine Familie, weil die immer für mich da ist.“
Es gibt sicher ganz viele Antworten, und sehr berechtigte Äußerungen, in denen der Stolz absolut positiv besetzt ist.

Warum sollte denn gerade dann der Stolz eine Sünde, eine Todsünde sein?
Genauso gut kennen wir sicherlich auch viele Redewendungen, in denen der Stolz eher negativ besetzt ist: „Eigenlob stinkt.“ Oder: „Der Klügere gibt nach“. Man stellt sich nicht in den Vordergrund und sagt nicht, was man alles kann und leistet. „Der Hochmut kommt vor dem Fall.“ „…mit stolz geschwellter Brust“

Wir kennen auch viele Symbole, die den menschlichen Stolz karikieren: „Stolz wie ein Hahn“ – umherlaufen mit aufrechtem Gang, hochnäsig, besserwisserisch…
Es gibt sicherlich noch viele weitere Beispiele, die man hier anführen könnte, sowohl die Beispiele, die den Stolz als eine sehr positive Eigenschaft darstellen, als auch die negative Beispiele.

Wir als Deutsche haben da noch ein ganz anderes Problem, überhaupt über den Stolz sprechen zu können. Ich meine den Nationalstolz, der in anderen Nationen ganz selbstverständlich ist. Bei uns ist er quasi nur bei der Europa- oder Weltmeisterschaft allgemein gebilligt. Obwohl wir nichts dafür können, Deutsche zu sein, tun wir Deutschen uns schwer damit, auf uns als Deutsche stolz zu sein. Unsere Geschichte verbietet es gerade und intensiviert unser schlechtes Gewissen, obwohl es von meiner Generation aus gesehen, ja schon lange vor meiner Zeit war.

Der Stolz ist meistens negativ besetzt und deswegen schickt es sich nicht darüber zu reden. Bis auf eine Ausnahme: In unserer Gesellschaft werden der Stolz und die Eitelkeit von Prominenten und Stars allgemein gebilligt und für gut empfunden. Menschen, die überdurchschnittlich fleißig, erfolgreich und begabt sind, denen gestehen wir es gerne zu, stolz zu sein.
Leistung, Popularität und Erfolg scheinen dieses zu erlauben. Wir gestehen es nur Hochbegabten und Erfolgreichen zu, stolz zu sein auf ihre Leistung.
Das erscheint ungerecht: Warum dürfen die einen stolz auf sich sein und die anderen wiederum nicht.

Dazu zunächst ein Blick in den Duden. Dort heißt es zu Stolz: 1. ein übertriebenes Selbstbewusstsein, Überheblichkeit. 2. eine berechtigte selbstbewusste Freude (über jemanden oder etwas.)
Auch im Duden wird differenziert. Der Duden unterscheidet zwischen zwei Arten von Stolz. Einen problematischen Stolz, der eine Form von Überheblichkeit ist, und einen berechtigten Stolz, der in etwa gleichbedeutend ist mit selbstbewusster Freude.
Der Hochmut stammt vom lateinischen Wort superbia, was so viel wie Anmaßung, Überheblichkeit, Arroganz, Einbildung bedeutet. Gemeint ist damit eine Haltung, die den Wert und den Rang oder die Fähigkeiten der eigenen Person besonders in den Mittelpunkt rücken.
Erkennen können wir ihn an Arroganz, Blasiertheit und Aufgeblasensein.
Auch der Stolz bzw. der Hochmut hat einen Gegensatz, es handelt sich hierbei um die Demut. Die Demut kann den Stolz, oder sagen wir besser den überheblichen Stolz wieder ausgleichen.

Auch die Bibel nennt den Stolz bzw. Hochmut. Dort ist er fast ausschließlich negativ besetzt. Stolz und Hochmut werden fast immer wie Synonyme behandelt, sollen also das Gleiche bedeutet. Vieles hat die Bibel in Lebensweisheiten im Buch der Sprüche festgehalten:

Hier nun einige Beispiele:

„Ein Gräuel ist dem Herrn jeder Hochmütige, / er bleibt gewiss nicht ungestraft.“ (Spr 16,5)

„Hoffart (= Stolz) kommt vor dem Sturz / und Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Spr 16,18)

„Wenn du dich stolz erhoben und dabei blamiert hast / oder wenn du nachdenkst – so leg die Hand auf den Mund!“ (Spr 30,32)

„Dann wird der Herr zuerst die Zelte Judas retten, damit der Stolz des Hauses David und der Stolz der Einwohner Jerusalems nicht zu groß wird gegenüber Juda.“ (Sach 12,7)
„Darum ist Hochmut ihr Halsschmuck, / wie ein Gewand umhüllt sie Gewalttat.“ (Spr 73,6)

„Hochmut erniedrigt den Menschen, / doch der Demütige kommt zu Ehren.“ (Spr 29,23)

Neben diesen Sprüchen kennt die Bibel auch immer wieder Erzählungen, in denen es gerade der Stolz, der Hochmut der Menschen ist, der einen Menschen oder sogar ein ganzes Volk zu Fall bringen kann.
Zwei Erzählungen aus dem Alten Testament, die sie sicherlich alle kennen, möchte ich gerne herausgreifen: Zuerst die Erzählung vom Turmbau zu Babel (Gen 11,1-9).

Der Turmbau zu Babel ist zusammen mit der babylonischen Sprachverwirrung trotz ihres kleinen Umfangs von nur neun Versen eine der bekanntesten biblischen Erzählungen des Alten Testamentes.
Die Bibel erzählt von einem Volk aus dem Osten, das die eine (heilige) Sprache spricht und sich in der Ebene in einem Land namens Schinar ansiedelt. Dort will es eine Stadt und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel bauen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Nun befürchtet er, dass ihnen nichts mehr unerreichbar sein [wird], was sie sich auch vornehmen, das heißt, dass das Volk übermütig werden könnte und vor nichts zurückschreckt, was ihm in den Sinn kommt. Gott verwirrt ihre Sprache und vertreibt sie über die ganze Erde. Die Weiterarbeit am Turm endet gezwungenermaßen.
Gott wertet diesen Versuch der Menschheit, Gott gleichkommen zu wollen. Wegen dieser Selbstüberhebung straft Gott die Völker, die zuvor eine gemeinsame Sprache hatten, mit Sprachverwirrung und zerstreut sie über die ganze Erde.

Der Stolz gilt also nicht aus politischen oder psychologischen Gründen als die grundlegende der sieben Todsünden. Sondern wegen der Erfahrung, dass der Mensch bestrebt ist, Grenzen zu überschreiten und letztendlich nicht Mensch sondern Gott sein möchte.

Genau dieses wird besonders deutlich an der zweiten Erzählung: Dem Sündenfall im Paradies (Gen 3,1-5).
„Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“

Sein zu wollen wie Gott: schöpferisch, unsterblich, allwissend und allmächtig…

Von Ernst Bloch stammt folgende Formulierung:

„Nichts ist menschlicher, als zu überschreiten, was ist.“

Die Wissenschaft legt es immer darauf an, Grenzen zu überschreiten. Und genau darin kann eine Gefahr liegen. Sein zu wollen wie Gott, die Erkenntnis und Entscheidung über Gut und Böse ins eigene Ermessen zu nehmen, Gott, den Maßgebenden entthronen und selber Maß aller Dinge sein wollen, das ist nach biblischer aber auch jüdisch-christlichem Verständnis ein tödlich wirkender Stolz.

Dennoch schuf Gott den Menschen nicht einfach so, sondern er gab ihm schon im Garten Eden einen Auftrag: „Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“ (Gen 2,15) „Gott, der Herr, formte aus dem Ackerboden alle Tiere des Feldes und alle Vögel des Himmels und führte sie dem Menschen zu, um zu sehen, wie er sie benennen würde. Und wie der Mensch jedes lebendige Wesen benannte, so sollte es heißen. Der Mensch gab Namen allem Vieh, den Vögeln des Himmels und allen Tieren des Feldes.“ (Gen 2,19)

Gott hat den Menschen also mit Eigenschaften ausgestattet und diese Eigenschaften soll der Mensch auch nutzen, warum sollte er sie sonst erhalten haben.
Aber das passt doch jetzt nicht zusammen, wenn Gott es anschließend verbietet und als „hochmütig“ verurteilt. Gott geht es um einen verantwortungsvollen Umgang, sich selbst gegenüber, seinen Mitmenschen, der Natur und natürlich auch Gott gegenüber.
Die spannende theologische Frage, die dadurch zum Vorschein kommt ist folgende: Warum gibt Gott den Menschen Fähigkeiten / Eigenschaften, die er ihm anschließend direkt wieder verbietet zu nutzen und verurteilt sie als hochmütig?
Und genau das muss mit einem klaren Nein beantwortet werden.
Nicht der Fakt alleine, dass der Mensch imstande ist einen Atomkern zu spalten oder eine Stammzelle transferieren zu können, ist eine Sünde, sondern wie und auf welche Weise ich zu diesen Errungenschaften gelange, und wie und wozu ich sie in der Folge einsetze. Schließlich besteht ein großer Unterschied in dem, wie z.B. Albert Schweitzer sein ärztliches Wissen einsetzte oder aber ein KZ-Arzt wie Josef Mengele.

Denn es hängt immer davon ab, wem gegenüber wir uns rechenschaftspflichtig fühlen. Ob wir, damit ist jeder von uns bei seinem Handeln gemeint, an eine höchstrichterliche Instanz über uns glauben, die wir Christen Gott nennen, oder ob wir meinen, selbst der oberste Richter sein zu können.
Ethisch verantwortlich gemacht wird jeder Forscher und jeder Entdecker, weil sein Tun immer in einem sozialen Zusammenhang steht.

Liebe Schwestern und Brüder, sie merken an diesen Ausführungen vielleicht, dass es auch nicht immer einfach ist richtig zu handeln. Unser Handeln steht immer in einem größeren Kontext, in einem größeren Zusammenhang. Gegenüber uns selber, unseren Mitmenschen, der Natur und letztendlich auch immer Gott gegenüber. Wir müssen einen Blick auf das Ganze, den Zusammenhang haben und dieser Blick auf den Zusammenhang wird im Neuen Testament auf Griechisch syneidesis genannt. Gemeint ist damit unser Gewissen.
Wir Menschen haben gottgewollt die Gabe der Freiheit erhalten, eine Gewissensfreiheit, die in diesem Fall zu einer Entscheidungsfreiheit wird.
Der Münchener Theologe Michael Schibilisky schreibt dazu: „Die Neigung, Grenzen zu überschreiten, ist etwas, was zutiefst menschlich ist. Die Unterscheidung zwischen Gut und Böse ist die Grundlage dessen, dass wir ein Gewissen haben. Wenn wir ein Gewissen haben und das als Gabe Gottes ansehen, dann ist die Gewissensfreiheit eine Entscheidungsfreiheit. Diese Entscheidungsfreiheit ist in der Schöpfungsgeschichte als in unserem Wesen angelegt beschrieben. D.h. wir haben nicht mehr die Wahl, das Gewissen zu haben oder nicht zu haben, sondern – wir haben es!“ Wir Menschen haben ein Gewissen und müssen es einsetzen, da kommen wir nicht drum herum.

Und genau in diesem Punkt, bei unserem eigenen Gewissen, nähern wir uns der eigentlichen Schwere der Todsünde Stolz. Gegen besseres Wissen und Gewissen zu handeln und nur bedacht zu sein auf den eigenen Vorteil, d.h. selbstherrlich nur sich selbst gegenüber verantwortlich sein zu wollen, ist das eigentliche schlimme daran. Besser zu sein, wie andere Menschen und letztendlich auch immer zumindest ein Stück sein zu wollen wie Gott.

Liebe Schwestern und Brüder, es ist also gar nicht so einfach immer richtig zu handeln, denn auf der einen Seite ist der Stolz ja auch etwas Erstrebenswertes, etwas sehr positives und es tut auch mal sehr gut, wenn man etwas hat, worauf man stolz sein kann, – aber leider kann es dann auch schnell ins genaue Gegenteil kippen, ohne dass wir es auch gleich merken. Es ist häufig ein Drahtseilakt auf dem wir uns da bewegen.
Als ausgleichenden Gegenpart kennen wir nicht nur in der Theologie sondern auch in der Philosophie die Demut. Demut ist nicht das Gegenteil von Stolz, nicht das Gegenteil von Mut, sondern Demut ist eine Fähigkeit, sich selber nicht ganz so wichtig zu nehmen und den Blick wieder auf unsere Umwelt zu richten. Mit Demut sagt man etwas aus, was genau das Gegenteil von Selbstverherrlichung, von Wichtigtuerei, Angeberei ist und was einen den Blick auf die Mitmenschen und letztendlich auch wieder auf Gott hin ausweitet.

Der Hochmut ist es, der uns unsere Mitmenschen vergessen lässt, der uns andere Menschen herablassend behandeln lässt. Der Hochmütige kennt nur noch sein Ego, er kreist um sich selber und kann den Mitmenschen und Gott nicht mehr wahrnehmen.Nur, wer sich dessen bewusst ist, kann versuchen und wird es versuchen, das Maß zu wahren. Er wird versuchen eine Ausgeglichenheit zwischen angemessenem und arrogantem Stolz zu leben.
Aber wir Menschen müssen uns auch immer bewusst sein, dass uns das nicht immer gelingen wird. Deshalb tut es gut, ab und zu mal innezuhalten, zur Ruhe zu kommen, und das eigene Leben zu reflektieren. Dazu lädt uns die Fastenzeit immer wieder ein: „Kehr um“, heißt es deswegen auch sehr oft, „Kehr um zu deinem Gott“. Umkehren in dem Sinn sich neu zu orientieren, sich neu auszurichten auf Gott und die Mitmenschen, die Egozentriertheit zu verlassen und sich so neu auf die Gemeinschaft einzulassen.
Aber der erste Schritt wird immer sein, es sich bewusst zu machen. In diesem Wort „bewusst machen“, steckt auch das Wort Wissen, das Wort Gewissen. Wir sind immer wieder herausgefordert unser eigenes Gewissen zu fragen, ja auch anzufragen, wie es denn um uns steht, denn vieles schleift sich mit der Zeit unbewusst ein, wir merken es häufig gar nicht, wie sich unser unbewusstes Handeln in unserem Leben etabliert.

Liebe Schwestern und Brüder, „Hochmut kommt vor dem Fall“ – Hochmut wird schnell zum Fall, denn der Stolz hat es in sich. Denn er ist eigentlich etwas positives, der wie bei einem Drahtseilakt schnell mal genau in Gegenteil kippen kann. Darum möchte ich gerne mit einer Lebensweisheit aus dem Buch der Sprüche schließen: „Hochmut erniedrigt den Menschen, / doch der Demütige kommt zu Ehren.“ (Spr 29,23)

Amen.