Vom hohen Ross herab...
Skizzen zur dominikanischen Spiritualität

Vortrag am 25.5.2004 im Rahmen der „Kreuzganggespräche“ im Dominikanerkloster Worms

Ulrich Engel OP

„Als der Bischof von Osma auf der Rückreise von Rom in Montpellier Halt machte, begegnete er dort dem Abt Arnold von Cîteaux und den beiden Zisterziensermönchen Petrus von Castelnau und Radulph. Sie waren päpstliche Legaten. Sie waren drauf und dran, sich der Sendung, mit der man sie betraut hatte, zu entziehen, so entmutigt waren sie ob der Feststellung, dass sie mit ihrer Predigttätigkeit bei den Häretikern kaum etwas erreicht hatten“. Denn wenn immer sie den Häretikern predigen wollten, hielten diese ihnen den überaus schlechten Lebenswandel der Kleriker vor. (...)
In dieser auf den ersten Blick aussichtslosen Situation gab ihnen der Bischof einen heilsamen Rat. (...) Um (.. .) den Lästerern den Mund zu stopfen, sollten sie nach dem Beispiel unseres Herrn und Meisters selbst handeln und lehren, das heißt, ganz demütig auftreten, zu Fuß gehen, ohne Gold und Silber, und in allem das Leben der Apostel nachahmen. (...) In jenen Tagen holte also Gott, der Herr (...) zwei Leuchten seiner Gnade aus Spanien: Diego, den Bischof von Osma, und seinen Begleiter Dominikus, Kanonikus seiner Kirche, später Ordensmann und kanonisierter Heiliger. Diese zwei machten sich an das schwierige Werk. (...) Sie traten gegen die falschen Auffassungen der Häretiker auf, denen es in den Fängen des Teufels gefiel; sie griffen sie zwar an, aber in aller Bescheidenheit, mit Zurückhaltung und Geduld. Sie gingen von Flecken zu Flecken und nahmen dort an Disputationen teil. Aber sie gingen zu Fuß, barfuß, und verzichteten auf jedes Gepränge, auf Begleiter und Pferde“ (Historia Alibigensis, 20f.)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Mitbrüder,

Das vorliegende Zeugnis aus der Anfangsgeschichte des Predigerordens berichtet von einer entscheidenden Begebenheit in der Biographie des hl. Dominikus. Während die päpstlich besoldeten Legaten mit ihrer Verkündigung „vom hohen Ross herab“ erfolglos – weil unglaubwürdig – bleiben mussten, überzeugte der Überlieferung nach die Predigt des Dominikus und seines bischöflichen Freundes Diego in ihrer ganz neuen, revolutionären Art. Nicht Belehrung von oben hieß die Maxime der spanischen Wanderprediger, sondern Verkündigung von unten. Die entscheidende Neuerung war die: Dominikus und Diego verzichteten auf das Pferd! Indem sie die Predigt aus dem Sattel hoben, bekam diese wieder Boden unter die Füße. Das Verkündigungsengagement der beiden gebärdete sich nicht mehr wie das der römischen Delegierten – abgehoben, zwei Meter über dem Boden der Realitäten schwebend. Ganz im Gegenteil: „Geerdet“ waren die Worte der spanischen Wanderprediger in den sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der Zeit. Sie nahmen Menschen und Welt von unten wahr; ihr Blickwinkel war nicht mehr der von der herrschaftlichen Höhe des Pferderückens herab. Mit Diego und Dominikus zog neuerlich eine basisnahe Verkündigung in die Kirche ein.
Das also ist gemeint mit dem Titel meines Vortrags: „Vom hohen Ross herab...“ Während die einen, die päpstlichen Legaten, vom hohen Ross herab gepredigt haben – erfolglos –, so sind die anderen vom hohen Ross herab gestiegen und haben erdennah gepredigt – erfolgreich. Entsprechend lautet meine erste These, die ich Ihnen heute Abend vorstellen möchte, kurz und knapp:

THESE 1: Dominikanische Spiritualität ist gekennzeichnet durch eine Bewegung nach unten!

Nun ist diese Bewegung nach unten, diese Aufmerksamkeit für das Niedrige und die Kleinen allerdings keine Erfindung des Dominikus und seines Freundes Diego. Nicht im mindesten! Das macht schon ein kurzer Blick in die Evangelien deutlich. Die Verkündigung Jesu, seine gesamte Lebenspraxis war verortet an der Basis der Gesellschaft seiner Zeit. Die sogenannten „Outsider“, die Marginalisierten, die kleinen Leute stellten die bevorzugten Adressaten der Botschaft des Wanderpredigers aus Nazaret dar; ihnen verkündete er „erfreuliche Nachrichten“, ihnen redete er von Befreiung und Heil, von Barmherzigkeit und Liebe. Eine solche ‚evangelische’ Begebenheit sei hier – beispielhaft – erinnert:

Auf seinen Wegen durch Galiläa begegnete er einmal einem Aussätzigen. Da den Menschen diese Krankheit unheimlich vorkam, durften Aussätzige nicht mit anderen Menschen zusammenleben. Sie waren buchstäblich Aus-Gesetzte, an den Rand Gedrängte. Sie durften nicht auf andere zugehen, und niemand durfte mit ihnen Kontakt aufnehmen.
Aber bis an diese Ränder der Gesellschaft hatte sich die neue Menschenmöglichkeit, die Jesus lebte, herum gesprochen. Und so wagte dieser Aussätzige, was nicht erlaubt war. Er ging auf Jesus zu: „Ich möchte wieder heil und unversehrt sein.“ Und auch Jesus tat, was nicht erlaubt war. Er berührte den Unberührbaren, und aus Vertrauen und übergroßer Liebe erwuchs das Wunder: Der Aussätzige war kein Ausgesetzter mehr. (Mk 1,40-43 / Übertragung: Diethard Zils OP)
 
Nicht von oben herab, nicht als Objekte behandelt Jesus die „Outcasts“, die Randexistenzen seiner Gesellschaft. Auf gleicher Augenhöhe tritt er ihnen entgegen. Solch eine solidarische Begegnung erst ermöglicht Heilung und Subjektwerdung, Identität und Auferstehung — mitten im (sozialen) Tod.
Solidarität von unten mit den zu kurz Gekommenen ist das entscheidende Stichwort der Verkündigungspraxis des Wanderpredigers aus Nazaret. Solidarität von unten mit den kirchlichen (und damit auch den gesellschaftlichen) Randexistenzen war der entscheidende Impuls der Predigttätigkeit des Dominikus und seines Freundes Diego. Streng genommen also gibt es nur ein Modell von Spiritualität überhaupt: Jesu von Nazareth.
In diesem Sinne gilt meine zweite These:

THESE 2: Die dominikanische Spiritualität ist eine zutiefst christliche Spiritualität!

Die dominikanische Spiritualität ist deshalb eine christliche Spiritualität, weil sie eine Spiritualität der Nachfolge Jesu ist. Jesus ist der einzige, dem man nachzufolgen hat: Dies war für Dominikus von Guzmán von offenkundiger Evidenz, so wie das bei allen Ordensgründern der Fall war. Dominikus hat seine ersten Gefährten nicht aufgefordert, ihm nachzufolgen, sondern vielmehr Jesus, dem Modell und Vorbild jeglicher christlicher Erfahrung. Mit seinem Leben und seinem Wort zeigt Dominikus ein spezifisches Modell für diese Nachfolge auf. Wie bei den meisten Ordensgründern der Fall, strahlt auch Dominikus in seiner Praxis aus und zeigt mit seinem Leben an, was es bedeutet, Jesus nachzufolgen, und wie man dies treu und radikal zugleich tun kann.
In diesem Zusammenhang wird erzählt, dass der heilige Franziskus denjenigen, die zur Approbation seines Ordens eine Regel einforderten, antwortete: „Redet mir nicht von der Regel des heiligen Benedikt, des heiligen Augustinus oder des heiligen Bernhard oder von irgendeiner anderen Lebensform, wenn es sich nicht um diejenige handelt, die der Herr selbst uns in seiner Barmherzigkeit aufgewiesen und anvertraut hat.“ In dieser so aufrichtigen Antwort gibt es eine tiefe Wahrheit: Jegliche Spiritualität, die nicht das Evangelium Jesu Christi zur höchsten Norm hat, ist keine wahrhaft christliche Spiritualität. Die Geschichte des Ordenslebens nährte sich aus dieser Gewissheit und wiederholte beständig, dass das Evangelium die „erste und oberste Regel“ sei.
Dennoch gibt es eine spezifische Spiritualität des Dominikus bzw. eine spezifische dominikanische Spiritualität. Sie hat ihre Identität und eigene Charakteristika. Dominikus ist gerade deshalb Ordensgründer und spiritueller Meister, weil er mit seinem Wort und Leben eine spezifische Form der Nachfolge Jesu aufgezeigt hat. Viele Schüler – besser gesagt: Gefährten beziehungsweise Schwestern und Brüder – folgten ihm auf der Suche nach der Treue zu Jesus, auf der Suche nach einem wahrhaft apostolischen Leben. In diesem Sinne wurde gerade Dominikus zu einem Objekt der Nachahmung und der Nachfolge. Anders ausgedrückt: Viele ahmten und folgten Jesus im Stile des Dominikus von Guzmán nach. Dominikus nachzufolgen ist also eine bestimmte Form, Jesus nachzufolgen.
Die Frage, die mich beschäftigt, heißt: Welche bestimmten oder spezifischen Charakteristika besitzt die Spiritualität des Dominikus bzw. die dominikanische Spiritualität?
Bevor ich auf diese Frage zu antworten versuche, möchte ich in Form einer dritten These noch eine kurze Zwischenbemerkung einfügen.

THESE 3: Die dominikanische Spiritualität hat ihren Platz nicht bloß in Frömmigkeitsübungen, sondern in unserem ganzen Leben als Dominikanerinnen oder Dominikaner.

Sie hat ihren Platz im gemeinschaftlichen Gebet und in der apostolischen Arbeit, im wissenschaftlichen Studium und in der kommunitären Rekreation, im sozialen Engagement und in der liturgischen Feier, in der Kontemplation und in der politischen Aktion. Dominikanische Spiritualität steht nicht isoliert im dominikanischen Leben; sie beschränkt sich nicht auf die Zeiten von Gebet und liturgischer Feier, sondern sie umfasst die Gesamtheit unseres Lebens und unserer Mission.
Das ganze dominikanische Leben lebt im Stil des Dominikus im Geist Jesu. In diesem Sinne gehören alle Komponenten dominikanischen Lebens und dominikanischer Mission zur dominikanischen Spiritualität oder sind konkrete Inkarnation derselben. Die Fundamentalkonstitution zu Beginn unseres „Liber Constitutionum et Ordinationum“ bestätigt dies:
„Da wir also an der apostolischen Mission teilhaben, übernehmen wir auch die Lebensweise der Apostel in der Form, die der heilige Dominikus herausgebildet hat. Wir führen einmütig das gemeinsame Leben, wir verhalten uns treu zu den evangelischen Räten, wir pflegen mit Freude die gemeinsame Feier der Liturgie, vor allem der Eucharistie und des Stundengebetes, und das persönliche Gebet, wir widmen uns intensivem Studium, wir stehen zu den klösterlichen Lebensformen. All diese Dinge fördern nicht nur die Ehre Gottes und unsere Heiligung, sie dienen auch direkt dem Heil der Menschen, da sie übereinstimmend auf die Predigt vorbereiten und zu ihr hinführen, sie [= die Predigt] prägen und ihrerseits von ihr geprägt werden. Diese verschiedenen Elemente [unserer Lebensweise], die miteinander in engem Zusammenhang stehen, aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig befruchten, machen als Ganzes das Besondere des Ordens aus, d.h. ein im vollen Sinne apostolisches Leben, in dem Predigt und Lehrtätigkeit aus der Fülle der Kontemplation fließen müssen“ (LCO 1, IV).

Soweit meine Zwischenbemerkung und These Nummer 3. Ich komme wieder zurück zu meiner Hauptfrage nach den spezifischen Charakteristika der dominikanischen Spiritualität: Um eine Antwort zu finden erscheint es mir angebracht, die Spiritualität des Dominikus in den Blick zu nehmen. Meine 4. These lautet denn:

THESE 4: Die Spiritualität des Dominikus ist eine Spiritualität der Menschwerdung.

Ein klassisches Problem in der christlichen Geschichte war die Tendenz, spirituelle Erfahrung und gesellschaftliches Engagement voneinander zu trennen. Erstere hat man zuweilen in Verbindung gebracht mit einem entsprechenden Zeitaufwand für Gebet oder liturgische Feier; das „weltliche“ Tun hat man einfach in Verbindung gebracht mit einem entsprechenden Zeitaufwand für Arbeit oder Mission.
Diese dualistische [= gegenläufige] Tendenz war in der Zeit des Dominikus allgegenwärtig. Die fuga mundi (Weltflucht) war häufig Ausdruck dieses Dualismus, der das Ordensleben unterwanderte. Dominikus wandte alle Mühe auf, diesen Dualismus zu überwinden und eine Spiritualität zu „erfinden“, die geistliche Erfahrung und konkretes Tun integriert.

Zur Überwindung dieses Dualismus muss man die dazu notwendige Inspiration im Geheimnis der Menschwerdung suchen. Hier stieß Dominikus auf die wahre Quelle seiner Spiritualität: die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus.
Der spanische Dominikaner Felicísimo Martínez OP schrieb einmal: „Die Spiritualität des Dominikus ist nicht romanisch, sondern gotisch. Der Christus des Dominikus ist kein Christkönig oder ein romanischer Pantokrator, dem menschlichen Drama gegenüber fremd und empfindungslos. Vielmehr ist er ein gotischer Christus, feinfühlig und geduldig, leidend und gekreuzigt, der die Tiefgründigkeit menschlichen Dramas verinnerlicht. Die Maria des Dominikus ist nicht die romanische Königin, sondern die gotische Mutter. Denn es handelt sich um eine Spiritualität der Menschwerdung, welche die eigene und fremde ‚conditio humana’ erkennt und aufgreift.“

Diese Spiritualität – so kann man zusammenfassen – ist kein Ergebnis der fuga mundi, sondern Folge der Menschwerdung und der Verflechtung Gottes in diese Welt. „Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern vervollkommnet sie.“ Dieses theologische Prinzip, wie es zu einem späteren Zeitpunkt Thomas von Aquin formulieren wird, war schon für die Spiritualität des Dominikus inspirierend.

Der französische Dominikaner und Kirchenhistoriker Guy Bedouelle OP hat diesen Zusammenhang einmal so beschrieben:
„Das Geheimnis der dominikanischen Identität [und ich ergänze hier: das Geheimnis der dominikanischen Spiritualität; U.E.] hängt (...) damit zusammen, dass die Dominikaner nahezu einhellig in einem Punkt mit dem heiligen Thomas von Aquin übereinstimmen – selbst wenn dabei jeder den einen oder anderen Aspekt mehr bevorzugt –, nämlich dass die Gnade, deren Verkündiger sie sind, die Natur nicht unterdrückt, dass vielmehr die Natur der Gnade bedarf. (...) Wenn die empfangene, geglaubte und verkündigte Gnade die Natur nicht unterdrückt, sondern sie im Gegenteil voraussetzt und sich ihr mitteilt, dann kann sie [die Gnade] sich auf die großen Werte stützen, die sich außerhalb des Evangeliums (...) der Menschheit erschließen und von ihr anerkannt werden. Deshalb wirkt der Dominikanerorden so modern und vermag trotz seiner mittelalterlichen Ursprünge die Menschen auch heute noch anzuziehen.“
Bedouelle nennt vier Werte, die die dominikanische Identität charakterisieren und ausmachen: Wahrheit, Freundschaft, Freiheit und Brüderlichkeit.
Dominikus verinnerlicht diese Spiritualität eines Einklangs von Natur und Gnade; er entfaltet sie in dem Maße, wie sie die Berührung und das Mitleid mit der betrübten Menschheit ist. Hier haben wir ein charakteristisches Spezifikum des spirituellen Lebenswegs des Dominikus: Die leidende Menschheit ist der Weg, sich auf eine Spiritualität der Menschwerdung einzulassen und das Geheimnis der Menschwerdung und der Passion Christi zu entdecken.
Die Berührung mit den gekreuzigten Frauen und Männern ist für Dominikus der sichere Weg, um die Kontemplation des gekreuzigten Jesus Christus zu verinnerlichen.

These 5: Die Spiritualität des Dominikus ist geprägt von Willensstärke, Mitleid und Menschlichkeit.

Die Spiritualität der Menschwerdung ist zu einem guten Teil die Quelle der Persönlichkeit des Dominikus. Sie stellt sich dar als außergewöhnliche Harmonie von Menschlichem und Göttlichem, von Natürlichem und Übernatürlichem, von menschlichen Gaben und christlichen Tugenden. In der Persönlichkeit des Dominikus gibt es keine eindeutig definierten Grenzen zwischen beiden Bereichen. Es ist kaum zu ermitteln, wo seine menschliche Persönlichkeit endet und wo seine evangelische Persönlichkeit beginnt. Es ist praktisch unmöglich, die Grenzen zu ziehen zwischen dem menschlichen Wert seiner Freundschaft und dem christlichen Geschenk seiner Liebe. Diese Harmonie der Persönlichkeit des Dominikus drückt die Art und Weise und den typischen Charakter dominikanischen Daseins gut aus.

Ein hervorragender Wesenszug der Persönlichkeit des Dominikus ist seine Willensstärke, was der Heilsgnade keineswegs widerspricht. Dominikus hat diese Willensstärke in der Rauheit seines Geburtslandes geerbt und erlernt. Kastilien ist ein raues Land. Man muss es mit viel Schweiß bewässern, um Brot zu erhalten. Seine Willensstärke hat er wohlmöglich von seinem Vater geerbt, einem mittelalterlichen Ritter.

Die Willensstärke des Dominikus zeigt sich beständig auf seinem Lebensweg. Er bleibt fest im Predigtdienst trotz der ihn begleitenden Schwierigkeiten; in der schwierigen Aufgabe, den Orden trotz gegenteiligen Dekrets des Vierten Laterankonzils approbieren zu lassen; in der Organisation der Schwestern in Rom; in der Aussendung der Brüder trotz gegenteiliger Ansicht seiner allzu klugen Ratgeber; in der Verteidigung der Rechte der Brüder, in ihren Kirchen öffentlichen Gottesdienst abhalten zu können trotz Opposition der Kanoniker von Paris und Bologna; in der Verteidigung der eigenen Treue und derer seiner Brüder hinsichtlich des ursprünglichen Gründungsprojektes.

Die Willensstärke macht aus Dominikus aber keinen rauen und unnachgiebigen Mann. Denn gerade der willensstarke Wesenszug seiner Persönlichkeit ist mit einem nicht weniger bedeutenden verbunden: seiner Feinfühligkeit, seinem außergewöhnlichen Mitleid – Tugenden, die er vielleicht von seiner Mutter geerbt hat. Die Verknüpfung beider Wesenszüge gibt uns ein charakteristisches Profil der Persönlichkeit des Dominikus.

Das Mitleid des Dominikus ist eine Tugend, die menschlich und evangelisch zugleich ist. Es ist kein widerwilliges Gebaren gegenüber dem zu Bemitleidenden, sondern geschwisterliche und Em-pathie und Sym-pathie. Er erniedrigt den zu Bemitleidenden nicht, sondern er erhöht ihn und gibt ihm seine Würde zurück. Dominikus erweist sich als besonders mitleidig gegenüber den Armen Palencias, den Ketzern Südfrankreichs, den Heiden der Marken, den Sklaven der Reconquista oder des Feudalsystems, den Sündern und den Schwestern und Brüdern in der Krise. Und sein Mitleid beschränkt sich nicht auf romantische und intime Gefühle: Er setzt sie um in konkrete historische Taten. Er verkauft seine Bücher, um den Armen zu helfen; er widmet sein Leben der Ketzerpredigt; er begleitet die Sünder durch Dialog und brüderliche Zurechtweisung; er ermutigt die Brüder in der Krise. Dies sind Konsequenzen der Spiritualität der Menschwerdung, die das Leben des Dominikus ausmacht.

Für eine Spiritualität der Menschwerdung zu optieren bedeutet, nicht nur theoretisch die menschliche Natur aufzugreifen, sondern auch menschlich zu sein und mit menschlicher Energie zu fühlen und zu handeln. Mit menschlicher Energie zu handeln, ist ein weiterer Wesenszug der Persönlichkeit des Dominikus. Er erforscht und erkennt das Innerste des menschlichen Herzens. Damit ist er dem Jesus der Evangelien sehr ähnlich. Dominikus ist ein Experte für Menschlichkeit. Und vor allem ist er ein Experte für Freundschaft. Das ist die Menschwerdung christlicher Liebe. „Er liebte alle und wurde von allen geliebt.“ Vielen, die seine Wege kreuzten, wurde Dominikus zum Freund. Er war der Freund Diegos und Fulkos, der Päpste Innozenz III. und Honorius III. sowie ein Freund der Ketzer, die bereit waren, ihm zuzuhören; Vater und Freund der Brüder und Schwestern; nahe bei den Sündern und bei den Leidenden. Und er war Vertrauter der Studenten von Bologna, mit denen er gerne Umgang pflegte.
Die Summe dieser Wesenszüge der Persönlichkeit des Dominikus ergibt keinen Asketen im Stil des Täufers Johannes, sondern einen evangelischen Mann im Stile Jesu. Dominikus ist außergewöhnlich ausgeglichen, optimistisch, zugänglich und menschlich.
Wenn die Menschwerdung im Mittelpunkt der Spiritualität des Dominikus steht, dann kann man diese Spiritualität m.E. zu Recht als eine christozentrische Spiritualität bezeichnen. Entsprechend heißt meine 6. These:

THESE 6: Die Spiritualität des Dominikus ist eine christozentrische Spiritualität.

Die christliche Spiritualität ist zweifellos eine theozentrische Spiritualität. Aber man sollte nicht vergessen, dass Gotteserfahrung keine direkte und unmittelbare Erfahrung ist. Die christliche Gemeinschaft hat Jesus Christus zum Mittler.
Die christliche Spiritualität ist selbstverständlich auch eine „charismatische“ Spiritualität. Das christliche Leben ist durch den Geist beseelt. Aber man sollte auch nicht vergessen, dass der die christliche Gemeinschaft belebende Geist der Geist Jesu ist und nicht irgendein aus subjektiven Erfahrungen projizierter Geist.
Jegliche christliche Spiritualität ist definitiv eine Glaubenserfahrung von Jesus Christus, und sie ist definitiv eine christozentrische Spiritualität.
Dominikus hat uns keine Schriften hinterlassen, aus denen heraus wir seine Spiritualität erklären können. Zu ihr haben wir Zugang nur durch Zeitzeugen, die keine Zeugen der Lehre des Dominikus waren, sondern seines Lebens. Es waren lebendige Zeugen, die ihn persönlich kannten und mit ihm ihr Leben teilten. Über sie hinaus gibt es andere, nicht weniger wertvolle Zeugen: das Leben der ersten dominikanischen Generation, die direkt aus der spirituellen Quelle des Dominikus getrunken hat. Die von ihr begründete Spiritualität des Ordens ist eine andere Zugangsweise zur Spiritualität des Dominikus.
Alle diese Zeugen stimmen darin überein, die Spiritualität des Dominikus im wesentlichen als christozentrische Spiritualität darzustellen. Dominikus wird durch Fra Angelico häufig kniend am Fuße des Gekreuzigten dargestellt. Diese Bilder geben die spirituelle Erfahrung des Dominikus gut wieder. Das Zentrum ist Christus, genauer der gekreuzigte Christus.
Das Geheimnis der Menschwerdung, das die menschliche Natur voll und ganz aufgreift, mündet im Geheimnis des Kreuzes, welches das ganze Drama der menschlichen Natur offenbart. Deshalb ist die Spiritualität des Dominikus als eine Spiritualität der Menschwerdung eine Spiritualität der Passion.
In diesem Sinne lautet meine 7. These:

THESE 7: Die Spiritualität des Dominikus ist eine passiozentrische Spiritualität.

Die Spiritualität des Dominikus ist keine aus Büchern oder aus der bloßen klösterlichen Meditation heraus angelernte Spiritualität, sondern sie ist eine in der Berührung mit der leidenden Menschheit gelernte und angewandte Spiritualität. Im gekreuzigten Christus offenbart sich das wahre, liebevolle Antlitz Gottes. Im menschlichen Schmerz in den Gekreuzigten der Erde offenbart sich der gekreuzigte Christus.
Die Berührung mit der leidenden Menschheit ist die Quelle der religiösen Erfahrung, der Spiritualität, der christlichen und apostolischen Berufung des Dominikus. Hier wurzelt eine der wichtigsten Herausforderungen für die Dominikanerinnen und Dominikaner der gegenwärtigen Welt.
Dominikus ist einfach betroffen von fremdem Schmerz und fühlt innig Mitleid mit jeglichem leidenden menschlichen Dasein. Sein Leben ist eine Geschichte des Mitleids. In Palencia hat er Mitleid mit den verarmten Massen und verkauft, um ihnen zu helfen, seine Bücher. In den Kriegen der Reconquista und in der Feudalwelt fühlt er Mitleid mit den Sklaven und bietet sich selbst als Ablöse an. In Südfrankreich hat er Mitleid mit den in Lüge und Irrtum verstrickten Ketzern und widmet sich mit aller Kraft der Predigt des Evangeliums. In den Marken fühlt er Mitleid mit den Heiden und denjenigen, denen keiner das Evangelium gepredigt hat, und er hält sein ganzes Leben lang fest an der Idee und dem Wunsch, bei den Kumanen zu missionieren, sogar sein Leben als Märtyrer des Evangeliums hinzugeben. Er hat ein besonderes Mitleid mit den Sündern, und sein Fürbittgebet führt ihn bis hin zu Klage und Tränen. Und er ist mitleidig mit den Brüdern in Krisen.

Das Kreuz und die Passion der Menschen lenkt die Aufmerksamkeit des Dominikus auf die Betrachtung des Kreuzes und der Passion Christi. Das Kreuz und die Passion der Menschen lenken die Aufmerksamkeit des Dominikus auf die Betrachtung des Erlösungsgeheimnisses. Dominikus glaubt fest an den Heilsplan Gottes für die Menschheit und verkündet ihn mit Hingabe. Er ist kein Prophet der Ungnade, Verdammnis und Zerstörung. Er verkündet keine schlechten Nachrichten. Er ist Prediger der Guten Nachricht. Er ist kein apokalyptischer Prediger im Stile so mancher mittelalterlicher Prediger. Er ist ein Prophet der Hoffnung.

Dominikus ist auch kein Moralist, der auf Drohung oder Strafe rekurriert und das Gewissen der Zuhörer belastet. Er ist vielmehr ein evangelischer Prediger, ein spiritueller Meister, der Verzeihung, Erlösung und Versöhnung verkündet. Ein Moralist verweigert sich, wenn er droht und beschuldigt. Ein spiritueller Meister aber sucht und folgt nach, weil er denjenigen Hoffnung schenkt, die von der Last des Schmerzes und der Schuld bedrückt sind.

Ein zentraler Wesenszug der passiozentrischen Spiritualität des Dominikus ist die unbedingte Hingabe seines ganzen Lebens für das Evangelium. Alles stellt er in den Dienst des Evangeliums: seine Gesundheit, seine Zeit, seine Arbeit, seine Begabungen, sein ganzes Leben. Und weil ihm bewusst ist, dass ihn allein die Predigt des Evangeliums überfordert, lässt er sich im Predigtdienst von Brüdern und Schülern begleiten.
Der Predigtdienst verstärkt in Dominikus auch das Ideal des Martyriums. Das authentische christliche Opfer sind aber nicht die Leiden und Askese, die der Christ sich selbst auferlegt, sondern das, was ihn um der radikalen Nachfolge Jesu und der Glaubensverkündigung des Evangeliums willen dort hinführt: „Die um der Sache willen Verfolgten.“ (Vgl. Kol 1,24)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Brüder,
ich zitiere zustimmend – und als 8. und letzte These – einen Satz meines flämischen Mitbruders Edward Schillebeeckx OP, den er vor vielen Jahren einmal geschrieben hat:
 
THESE 8: „Eine endgültige, allround Bestimmung dessen, was dominikanische Spiritualität ist, kann nicht gegeben werden!“

Und er begründet diese seine Überzeugung wie folgt: „Man kann kein Endurteil geben über eine Geschichte geben, die als Geschichte noch voll im Gang ist.“ Denn „Gott sei Dank (...) [leben] noch immer Dominikaner; das heißt, unsere Geschichte ist noch nicht aus-erzählt“ .
Pater Schillebeeckx nennt diese noch nicht aus-erzählte Ordensgeschichte unsere Familiengeschichte. Als Familiengeschichte ist sie immer eine Geschichte im Plural, eine Geschichte in vielen Geschichten: unsere gemeinsame Ordensgeschichte in den Geschichten all der ungezählten Brüder und Schwestern durch die Zeiten hindurch und in allen Kontinenten dieser Erde. Schillebeeckx schreibt:
 

„Menschen leben zum größten Teil von Geschichten. Ich selbst lebe von meiner eigenen Geschichte. Als ich Dominikaner wurde, habe ich meine Lebensgeschichte mit der Familiengeschichte der Dominikaner verbunden; dadurch erhielt meine eigene Lebensgeschichte eine neue Orientierung, anderseits wurde von mir der Faden der Ordensgeschichte auf eine besondere Weise aufgenommen. Mein Leben selbst wurde damit ein Stück dominikanischer Familiengeschichte - ein Kapitel daraus. Ich bin also in der ‘Geschichte des Ordens’ ‘zur Geschichte geworden’. Dominikanische Ordensgeschichten halten uns als Dominikaner ‘zusammen’. Ohne Geschichten wären wir der Erinnerung beraubt, könnten unseren eigenen Platz in der Gegenwart nicht finden und würden ohne Hoffnung auf Zukunftserwartung bleiben. Als Dominikaner bilden wir also eine Besonderheit eben als eigene Erzähl-Gemeinschaft, die innerhalb der umfangreicheren Geschichte der vielen Ordensgemeinschaften und innerhalb der allumfassenden Geschichte der großen Kirchen- und noch größeren Menschengemeinschaft eigene Traditionen weitererzählt, wodurch wir zu einer eigenen, besonderen Familie gemacht werden, zu erkennen an verschiedenen, großen und manchmal kleinen, aber nicht zu verbergenden Familienbesonderheiten.“

In diesem Sinne möchte ich abschließend keine weiteren knochentrockenen Thesen verkünden, sondern Ihnen ein paar wenige Mitglieder der großen dominikanischen Familie aus verschiedenen Zeiten vorstellen. Ausgewählt habe ich aus den Tausenden Brüdern und Schwestern im Sinne der anfangs genannten Bewegung nach unten eine Reihe von denjenigen, die sich für die Ärmsten und Vergessenen eingesetzt haben, die den Traum von Frieden und Gerechtigkeit noch nicht ausgeträumt haben.
Denn wenn wir Dominikaner und Dominikanerinnen als „Familie“ zusammenkommen und wenn wir unserem Auftrag nachzukommen, nämlich in Wahrheit erdennah zu predigen, dann geht es immer um Gerechtigkeit und Frieden. Justitia et pax sind Tradition und Spiritualität, die unsere Predigttätigkeit inspiriert haben und inspirieren. Gerechtigkeit und Frieden haben unseren Worten Gewicht gegeben und tun das auch heute noch – vor allem dann, wenn wir vom Leiden und vom Leben, von Freude und Hoffnung der Menschen, die uns umgeben, sprechen. Justitia et pax machen das „spezifische Gewicht“ unserer Predigt aus. Gerechtigkeit und Frieden sind nicht einfach Unterrichtsstoff oder Thema einer theologischen Lektion, unabdingbare Materie eines Lehrplanes oder eine Mode. Mit Albert Nolan OP gesprochen: Sie sind Ausdruck unserer Spiritualität.

Seit fast 800 Jahren predigen Schwestern und Brüder im Predigerorden mit Wahrheit die Wirklichkeit Gottes und der Welt. Um so zu predigen, muss man die „Zeichen der Zeit“ (Gaudium es spes, 4). erkennen, muss wahrnehmen, was in unserer Umgebung geschieht, wissen, wer die Adressaten unserer Predigt sind. Unsere Brüder und Schwestern wurden – wie Dominikus – von compassio (Mit-Leid, Sym-Pathie) gegenüber dem Nächsten, der leidet, bewegt. Selbst gegen den Strom von Mehrheitsmeinungen haben sie wahrhaftig gesprochen und wahrhaftig gehandelt.

Im 20. Jahrhundert stehen für solche eine Predigt der Gerechtigkeit und des Friedens Brüder und Schwestern wie beispielsweise Louis-Joseph Lebret (1897-1966), der um eine fundamentale Analyse der sozialen Wirklichkeit bemüht war und die Zeitschrift „Économie et Humanisme“ gegründet hat. Später wird Lebret die Enzyklika „Populorum Progressio“ von Papst Paul VI. inspirieren. Ich denke an Dominique Pire OP (1910-1969), der nach dem Zweiten Weltkrieg die Europadörfer für Flüchtlinge gegründet hat und 1958 den Friedensnobelpreis verliehen bekommen hat. Ich nenne den brasilianischen Dominikaner Frei Tito de Alençar Lima OP (1945-1974), der von der Militärjunta gefoltert wurde und an den Folgen der Folter starb. Ich erinnere an unsere Schwestern Maura Clarke MM († 1980) und Ita Catherine Ford MM († 1980), Dominikanerinnen von Maryknoll / USA, die zusammen mit Dorothy Kazel OSU und Jean Donovan in El Salvador ermordet wurden, weil sie ein Volk im Krieg nicht allein gelassen haben. Wir begegnen auch Pierre Claverie OP (1938-1996), Bischof von Oran in Algerien, der von intoleranten Extremisten, die den Dialog verweigerten, ermordet wurde. Und ich gedenke eines Mitbruders, der weniger bekannt ist: Carlos Morales OP, der Anfang der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts in Guatemala ermordet wurde. Ich erwähne Fray Joaquín Bernardo OP (1959-2000), einen spanischen Dominikaner, der 2000 in Albanien im Zuge seiner Arbeit als internationaler Wahlbeobachter umgebracht wurde. Sie alle und viele andere haben leidenschaftlich gelebt, indem sie der Wahrheit folgten und mit vielen Menschen Hoffnung aufbauten: Lebret, indem er im Senegal Alternativen suchte; Joaquín mit seiner Arbeit, damit alle Einwohner von Osttimor und Albaniens an Wahlen teilnehmen und gehört werden konnten; Maura Clarke und ihre Mitschwestern in ihrer tagtäglichen Hingabe für alle, die an den Folgen des schmutzigen Krieges in El Salvador litten.

Fast 800 Jahre nach Dominikus engagieren sich immer überall auf der Welt Schwestern und Brüder für die Sache der Kleingemachten und Armen. Ihr basiskirchliches Engagement folgt den Fußspuren des Diego und des Dominikus. Am untersten Ende der gesellschaftlichen Hierarchie sind diese Ordensleute präsent. Ein – letztes – Beispiel sei noch erzählt:

In den Straßen der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires arbeitet Schwester Raquel. Seit ihrem Noviziat bemüht sich diese Dominikanerin zusammen mit einigen anderen Frauen um unzählige Straßenkinder; Kinder von neun, 12 oder 14 Jahren – vorzeitig gealtert vom „Schnüffeln“ des billigen Schusterleims, verwahrlost, argwöhnisch geworden und aggressiv. Die Straße hat ihnen die Kindheit geraubt. Weltweit – so die papieren-dürren Schätzungen der Statistik – gibt es 80 Millionen Straßenkinder; der größte Teil von ihnen lebt oder vegetiert in Lateinamerika.

Für Schwester Raquel sind die Fronten klar: Der Ort ihres Engagements ist auf der Seite der Straßenkinder – und eben nicht auf seilen der bürgerlich-besorgten“ Herrscherklasse. Ihre dominikanische Verkündigung braucht keine großen Worte. Ihre Spiritualität als Predigerin der Gnade realisiert sich ganz unten in der Gosse – in der Nähe eines zugigen Vorstadtbahnhofs ...

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Brüder,
Dominikus hat uns gelehrt und vorgelebt, wie wir um der Christusnachfolge willen eine Spiritualität entwickeln können, die vor allem auf dem Mitleid, der compassio gründet.
 
Auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche ihre Bereitschaft erklärt, sich den Problemen der modernen Welt zu stellen. Es bedarf einer gewissen Kühnheit, von einem Orden des 13. Jahrhunderts zu verlangen, er solle „den Geist und die eigentlichen Absichten der Gründer wie auch die gesunden Überlieferungen“ wahren (Perfectae caritatis, 2). Das Ziel ist dabei in der Tat eine renovatio, ein aggiornamento, das die Entsprechung zwischen der Ursprungsinspiration und unseren heutigen Existenzbedingungen sicherstellt.

Die Fundamentalkonstitution (Nr. VIII) verlangt vom Orden, „sich mutig zu erneuern und sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen; zu unterscheiden und zu prüfen, was an den Anliegen der Menschen gut und nützlich ist, und eben dies zu übernehmen, ohne die Harmonie seiner wesentlichen Lebenselemente preiszugeben“.

Die Konstitutionen in ihrer modifizierten Form und das dominikanische Leben als Entwurf und konkrete Lebenspraxis legen den Akzent auf eine Erneuerung der Verkündigung und betonen die Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse der Menschen.

Um die Spiritualität des Dominikus als unsere dominikanische Spiritualität zu kultivieren, müssen wir jeden Tag neu vom hohen Ross herab steigen!

Danke.
 

1) Hierzu und zum Folgenden vgl. U. Engel, Predigt von unten. Von der Kraft dominikanischer Spiritualität, in: unterwegs 1992, Heft 1, 14-16.
2) Vgl. Frei Betto, Dominikanische Spiritualität. Auf den Spuren von Dominikus Jesus nachfolgen, in: U. Engel (Hrsg.), Dominikanische Spiritualität (DQZ Bd. 1), Leipzig 22000, 165-176, hier 165.
3) Zum folgenden vgl. F. Martínez Díez, Die Spiritualität des Heiligen Dominikus und die Dominikanische Spiritualität, in: U. Engel (Hrsg.), Dominikanische Spiritualität, a.a.O., 143-164.
4) Ebd., 146.
5) G. Bedouelle, Geschichte und Identität [Geleitwort], in: W.A. Hinnebusch, Kleine Geschichte des Dominikanerordens (Dominikanische Quellen und Zeugnisse Bd. 4), Leipzig 2004, 9-21, hier 11.
6) Vgl. dazu U. Engel, Berührt. „Heilen bedeutet, gegen die Macht des Todes ankämpfen“. Von der heilenden Kraft der dominikanischen Idee, in: unterwegs 1990, Heft 1, 20-23.
7) E. Schillebeeckx, Dominikanische Spiritualität, 43-69, hier 44.
8) Ebd.
9) Ebd.
10) Zum Folgenden vgl. P. Romo, Compassio von unten. Dominikanische Menschenrechtsarbeit in einer globalisierten Welt, in: I. Berten / Th. Eggensperger / U. Engel (Hrsg. / Éds.), Gemeinwohl im Konflikt der Interessen / Le bien commun dans le conflit des intérêts. Gesellschaftspolitische, sozialethische und philosophisch-theologische Recherchen zu Europa / Recherches sociopolitiques, socio-éthiques et philosophico-théologiques sur l’Europe (Kultur und Religion in Europa Bd. 4), Münster – Bruxelles 2004 [im Druck]
11) Vgl. A. Nolan, in: Justice and Truth Shall Meet. Conference Proceedings (Conference for Dominican Life and Mission), Oak Park, Illinois 1984, 38-44, 62-73.
12) Vgl. hierzu nochmals G. Bedouelle, Geschichte und Identität, a.a.O., bes. 19f.